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06.04.2016: Stippvisite "Vom Amputationsbesteck zum OP-Roboter"

Verzogene Gummibärchen

Geschichtliche Rückblicke und Prognosen für eine Hightech-Zukunft gab es bei der medizinhistorischen Stippvisite in der Chirurgischen Klinik des Universitätsklinikums Erlangen durch Klinikdirektor Prof. Dr. Robert Grützmann. Am spannendsten für die zahlreichen Besucher war es aber wohl, einmal selbst „operieren“ zu dürfen.

"Wollen Sie mal ein Gummibärchen köpfen?" - "Ja!", rief die Besuchergruppe im ambulanten Operationssaal der Notaufnahme ohne zu zögern. Steven Robinson, medizintechnischer Trainer für den Da-Vinci-OP-Roboter, ist die allgemeine Begeisterung für Gelatine-Tierchen-Verstümmelung mit dem Hightech-Medizinsystem schon gewöhnt. Geduldig zeigte er jedem neugierigen Testoperateur, wie das Arbeiten mit dem Da-Vinci-OP-Roboter funktioniert. Das Gerät besteht aus drei Hauptbestandteilen: einem Mittelstück mit Greifarmen, einem Bildschirmturm für die Kamerabilder aus dem Innern des Patienten und natürlich dem Steuerpult, an dem der Operateur nur wenige Schritte vom OP-Tisch entfernt sitzt. Seine Finger legt der Arzt dafür in kleine Schlaufen, die die ausgeführten Bewegungen fließend an die Instrumente im Bauchraum des Operierten übertragen. Über einen 3-D-Monitor hat der Chirurg das OP-Feld direkt vor sich.

"Wie bei der Laparoskopie sind Eingriffe mit dem Da-Vinci-OP-Roboter minimalinvasiv", erklärte Steven Robinson. Neben den Vorteilen dieser Eingriffsart - kleinere Schnitte, geringerer Blutverlust und weniger postoperative Schmerzen - bietet die Arbeit mit der Robotertechnik zusätzliche- Vorteile für Arzt und Patient. So ist die Bildgebung durch eine dritte Dimension viel plastischer und Entfernungen können leichter abgeschätzt werden. Ebenfalls sind mit den Maschinenhänden Bewegungen möglich, zum Beispiel eine 360-Grad-Rotation für schnelleres Nähen, die mit der menschlichen Hand undenkbar sind. Ein weiteres Plus der Technik ist ihre spielend leichte, intuitive Handhabe: "Auch ein Kind kann den Roboter bedienen", versicherte Steven Robinson und musste die ersten Tester nicht lange suchen. Auf dem OP-Tisch lag am Abend der Stippvisite natürlich nur eine Gummipuppe, deren Bauchraum mit bunten Gummibärchen gefüllt war. Drei schlanke Roboterarme, an deren Enden sich die Instrumente - Scheren, Messer und Greifer - und die hochauflösende Kamera befinden, wurden durch kleinste Öffnungen in den Patienten eingeführt. Nun konnte der Eingriff beginnen. Während bei einer echten Operation neben dem ausführenden Arzt noch der Anästhesist, operationstechnische Assistenten und Assistenzärzte anwesend sind, standen am Mittwochabend rund 30 Besucher mit großen Augen im Kreis um das leise arbeitende Hochleistungsgerät herum. Auf dem Monitor beobachteten sie, wie einer nach dem anderen von ihnen mit schnell erlernten Handgriffen die Gummibärchen im Testbauchraum zerpflückte, köpfte und bis zum Reißen in die Länge zog.

Erst muss das Fahren gelernt werden

Neben allem Spaß stellten die Stippvisiten-Teilnehmer aber auch kritische Fragen - die Vorstellung, von einem Roboter operiert zu werden, fanden manche erst einmal seltsam. Steven Robinson kennt diese Bedenken. "Am wichtigsten zu wissen ist", so machte er deutlich, "dass nicht der Roboter operiert, sondern immer der Arzt. Ohne menschliches Zutun gibt die Maschine keinen Mucks von sich." Ebenfalls werde das Operieren mit dem OP-System intensiv trainiert. Denn obwohl der Umgang mit dem Da-Vinci-OP-System beim anatomisch wenig komplexen Gummibärchen schnell erlernt ist, müssen Ärzte natürlich erst einmal in die "Fahrschule" gehen, bevor sie einen Eingriff am lebenden Patienten durchführen. "Jeder Operateur übt rund 30 bis 40 Eingriffe am Gummipatienten oder auch an Tiermodellen, bevor er mit der erforderlichen Sicherheit an einen richtigen Eingriff herantritt", erklärte Steven Robinson. "Und auch dann werden zunächst nur einfache OPs, wie die Entfernung einer Gallenblase, ausgeführt." Seit 2012 ist das rund zwei Millionen Euro teure Gerät am Uni-Klinikum Erlangen in regelmäßigem Einsatz.

Die Chirurgie als Keimzelle des Uni-Klinikums Erlangen

Dass der Weg der Chirurgie bis zum heutigen Einsatz eines Da-Vinci-OP-Roboters lang war, das hatten die Gäste im geschichtlichen Vortrag von Prof. Dr. Robert Grützmann, Direktor der Chirurgischen Klinik des Uni-Klinikums Erlangen, gelernt. Als Facharzt in gleich drei chirurgischen Disziplinen - Chirurgie, Gefäßchirurgie und Viszeralchirurgie - war ihm die Geschichte seines Fachs bestens vertraut. "In die Erlanger Historie musste ich mich aber doch ein wenig einlesen", gab Robert Grützmann gegenüber den Stippvisiten-Besuchern zu. Sie hatten dafür Verständnis, schließlich ist der gebürtige Brandenburger erst seit September 2015 im Amt des Direktors der Chirurgischen Klinik tätig.

Chirurgische Eingriffe, erklärte Prof. Grützmann, habe es bereits in der Steinzeit gegeben. "Nichts Kompliziertes natürlich, aber es gibt durchaus Funde, die belegen, dass größere Verletzungen durch Blutstillung behandelt wurden und der Patient überlebt hat." Der Einsatz und die Weiterentwicklung von chirurgischen Instrumenten geschahen erst wesentlich später - Wissenschaftler datieren dies auf die Zeit der alten Ägypter und Römer zurück. Besonders zu ihren Anfängen war die Chirurgie auf die Theorie angewiesen und profitierte maßgeblich vom Wissen aus Anatomie, Pathologie und Physiologie um den Aufbau des menschlichen Körpers. Neben kleineren invasiven Behandlungen wie der Abzesseröffnung durch Bader und Wundärzte, waren die Amputationen von Gliedmaßen durch Militärärzte die ersten größeren chirurgischen Eingriffe.

Der Startschuss für die moderne Chirurgie

"Einer der prägendsten Meilensteine für das chirurgische Fach war die Entdeckung um die Wichtigkeit von Hygiene", erläuterte Robert Grützmann. "Früher wusste man nicht, dass man sich vor und nach Behandlungen desinfizieren muss, wie wichtig Handschuhe sind und was gegen eingetretene Infektionen wirkt. Die großartigen Menschen, denen wir diese Revolutionen heute verdanken, sind Ignaz Semmelweis, Joseph Lister, Louis Pasteur und Robert Koch." Ein zweiter Wendepunkt für die Chirurgie war die Entwicklung der Narkose. Zuvor konnten Patienten allein durch schwach wirkende Naturarzneien beruhigt werden, den Großteil der Eingriffe erlebten sie aber bei vollem Bewusstsein mit. So verhinderte der Mangel an effektiven Möglichkeiten, den Patienten schmerzfrei zu machen lange Zeit die Entwicklung von komplexen operativen Eingriffen. Dem Bostoner Zahnarzt William Morton gelang 1846 endlich der Durchbruch mit der Erfindung der Äthernarkose. Nur ein Jahr später griffen die Erlanger Chirurgen die neuen Möglichkeiten zur Schmerzbetäubung dankend auf und konnten fortan neue Möglichkeiten der chirurgischen Behandlung ihrer Patienten entwickeln.

In der Hugenottenstadt war wenige Jahre zuvor, 1815, das Clinicum Chirurgicum durch Bernhard Schreger (1766 - 1825) gegründet worden. Acht stationäre Krankenbetten standen den ersten Patienten zur Verfügung, für ambulante Behandlungen gab es weitere Räumlichkeiten. In den folgenden 200 Jahren sollte aus dem kleinen klinischen Institut ein multidisziplinäres Universitätsklinikum heranwachsen. Für die Chirurgie brachten Bernhard Schreger und nachfolgend Klinikdirektoren wie Carl von Thiersch (1822 - 1895), Gerd Hegemann (1912 - 1999) und zuletzt Werner Hohenberger (geb. 1948) bedeutende Fortschritte, vor allem auf dem Gebiet der Krebsbehandlung. Prof. Grützmann ist entschlossen, den international guten Ruf der Erlanger Chirurgie mit seinem Team und seinen Kollegen aus anderen Disziplinen zu erweitern. "Die heutige Chirurgie ist in den vergangenen 20 Jahren weit über sich hinaus gewachsen", erklärte der Klinikdirektor seinen Zuhörern. "Offene chirurgische Eingriffe, wie sie vor zwei Jahrzehnten der Goldstandard waren, werden heute nach Möglichkeit durch schonendere minimalinvasive Eingriffe per Laparoskop oder Da-Vinci-OP-System sowie durch die Hybrid-Operation ersetzt. Der Patient profitiert von einer schnelleren und schmerzfreieren Heilung und wir, die Operateure, haben mit den neuesten Bildgebungsverfahren einen hochauflösenden, vergrößerten und manchmal sogar dreidimensionalen Einblick in das OP-Feld".

Blick in die Zukunft

Was heute schon modern ist, soll zukünftig noch weiter entwickelt werden. Am Uni-Klinikum Erlangen sind die Zeichen von morgen schon deutlich zu sehen: In der tiefen Baugrube zwischen dem neuen Bettenhaus und dem Alten Universitätskrankenhaus wächst in den kommenden vier Jahren das hochmoderne Funktionsgebäude empor. Robert Grützmann freut sich schon auf den Neubau. "Die Möglichkeiten, die sich Ärzten und Patienten im neuen Chirurgischen Zentrum durch dessen Größe und Ausstattung bieten werden, erreichen eine völlig neue Qualität."

Weitere Informationen:

Prof. Dr. Robert Grützmann
Telefon: 09131 85-33201
E-Mail: chir-direktionuk-erlangende

Stippvisite Chirurgie

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Das Steuern der Instrumente ist leicht zu lernen: Mit den Fingern in den Schlaufen der Handgriffe lassen sich die Roboterarme intuitiv bewegen.

Stippvisite Chirurgie

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In drei Teile ist der Da-Vinci-OP-Roboter aufgebaut: Ganz links befindet sich der Monitor über den die Anwesenden die Operation verfolgen können, in der Mitte steht der OP-Tisch über dem die Roboterarme mit den angehängten Instrumenten schweben. Rechts zeigt Steven Robinson die Steuerkonsole, an der normalerweise der ausführende Operateur sitzt.

Stippvisite Chirurgie

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Durch den minimalinvasiven Eingriff mit dem Da-Vinci-OP-Roboter bleiben beim Patienten nur winzige Narben zurück.

Stippvisite Chirurgie

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Einmal selbst an der Steuerkonsole sitzen, das konnten die Besucher der Stippvisite in der Chirurgie.

Stippvisite Chirurgie

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Auf dem Monitor konnten die Testoperateure beobachten, wie die Instrumente des Da-Vinci-OP-Roboters die Gummibärchen im Bauch des Gummipatienten bearbeiteten.

Stippvisite Chirurgie

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Klinikdirektor Prof. Dr. Robert Grützmann wusste den Besuchern der Stippvisite in der Chirurgie vieles über die Geschichte und die Zukunft seines Fachs zu erzählen.