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16.03.2016: Stippvisite "Anatomische Sammlung - lehren, forschen, staunen"

Seltene Einblicke in den Menschen

Vierte medizinhistorische Stippvisite führte Besucher durch die Präparatesammlung des Instituts für Anatomie

Lehren, forschen, staunen - unter diesem Motto stand am vergangenen Mittwoch (16.03.2016) die vierte medizinhistorische Stippvisite im Institut für Anatomie der FAU Erlangen-Nürnberg, ausgerichtet vom Universitätsklinikum Erlangen. Prof. Dr. Winfried Neuhuber empfing die insgesamt rund 120 Besucher in der imposanten steinernen Eingangshalle des Instituts. Die ließ schon erahnen: Hier lagert Geschichte.

Unter dem ersten Punkt des Mottos - lehren - führte Prof. Neuhuber seine Gäste in den Hörsaal, wo die Neugier der Besucher auf die Folter gespannt wurde, als der Direktor des Instituts für Anatomie zunächst über die Erlanger Anatomiegeschichte referierte. Seit der Gründung der Friedrich-Alexander-Universität 1743 gibt es das Institut für Anatomie. Aber schon zur Zeit der Vorgängeruniversität, der Universität Altdorf in Nürnberg (1622 - 1809), wurde in der Region zu anatomischen Fragestellungen geforscht und wurden die ersten Stücke der heutigen Präparatesammlung zusammengetragen. In Erlangen lehrten die Anatomie-Professoren zunächst in einem heute nicht mehr bestehenden Gebäude in der Nürnberger Straße, ab 1826 in der Orangerie des Schlossgartens und ab 1863 im heutigen Gebäude des Instituts für Physiologie und Pathophysiologie in der Universitätsstraße 17. Die Reise der Erlanger Anatomie endete vorläufig 1897 mit der Übersiedelung in die Krankenhausstraße 9, wo bis heute der Lehrstuhl für Anatomie I. von Prof. Neuhuber untergebracht ist. Im Jahre 1992 wurde zusätzlich das ehemalige Zoologische Institut in der Universitätsstraße 19 bezogen und beherbergt seither den Lehrstuhl für Anatomie II.

Anatomie als Wissensquelle der Medizin

"Die Anatomie, die Lehre vom Aufbau des Körpers", erklärte Winfried Neuhuber, "gehörte schon von Anfang an zur Medizin. Das Studium des Körpers, ob von Mensch oder Tier, war eine der elementarsten Wissensquellen für die Humanmedizin und die Zoologie." Die Geschichte der anatomischen Forschung kann daher Bibliotheken füllen, angefangen bei den Papyrusschriften der alten Ägypter und den detaillierten Beschreibungen des organischen Aufbaus von Wirbeltieren durch Aristoteles im antiken Griechenland. Die ersten dokumentierten Leichenöffnungen zu Lehrzwecken fanden in der anatomischen Schule in Alexandria im 2. Jahrhundert n. Chr. statt. Das heutige Verständnis des Körpers gründet vor allem auf den medizinischen Studien von interdisziplinär forschenden Wissenschaftlern wie Leonardo da Vinci (1452 - 1519) oder dem flämischen Arzt Andreas Vesalius (1514 - 1564). Im Barockzeitalter schließlich öffneten Ärzte und Wissenschaftler die Obduktionssäle und inszenierten die Leichenöffnungen und Präparate in anatomischen Theatern als eine Art Bürgervorlesung.

Bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts wurden in der medizinischen Lehre die Leichname von in Kranken- und Strafanstalten Verstorbenen, aber auch von Hingerichteten und Mittellosen verwendet. Die Ablieferung dieser Leichname an die anatomischen Institute war durch behördliche Vorgaben geregelt. In vielen Universitätsstädten herrschte, besonders im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert, ein Leichenmangel, den die Professoren als Notstand in der Lehre beklagten, da er die gründliche medizinische Ausbildung der Studenten gefährde. Zur Zeit des Nationalsozialismus stieg die Zahl der zur Verfügung stehenden Leichname, als Folge der Zunahme der vollstreckten Todesurteile, monumental an. "Wie alle medizinischen Disziplinen, hat sich auch die Anatomie mit diesem problematischen Erbe auseinanderzusetzen", betonte Prof. Neuhuber. Seit 1945 stammen die für die Lehre und die Forschung zur Verfügung stehenden Leichen ausschließlich von erklärten freiwilligen Spendern, die ihren Körper zu Lebzeiten der Anatomie vermacht haben.

Kunst konserviert im Glas: die Präparatesammlung

Nach der Lehre wurde erforscht: Winfried Neuhuber führte die Besuchergruppe in die Räume der wertvollen anatomischen Präparatesammlung. In drei Sälen und in schonender Lagerung beherbergt das über Jahrhunderte gewachsene Archiv mehrere hundert Feuchtpräparate, Plastinate, einzelne Knochen und Schädel sowie Moulagen - überwiegend aus dem vergangenen Jahrhundert. Werden die Präparate der noch zu restaurierenden pathologisch-anatomischen Sammlung berücksichtigt, zählt die Erlanger Anatomiesammlung sogar über eintausend Stücke.

Das Erforschen brachte für die Anwesenden ganz schnell das im Stippvisitenmotto versprochene Staunen mit sich, denn die Ausstellungsstücke in Vitrinen und Holzschränken boten nicht alltägliche Einblicke. Besonders die Feuchtpräparate, kunstvoll aufbereitete Körperteile in Konservierungslösung, luden zum ehrfürchtigen Betrachten ein. Die Details wie Muskeln, Sehnen, Äderchen und sogar Wimpern ließen manchen im ersten Moment zwar schaudern, lösten insbesondere aber Bewunderung vor der Schönheit und der Komplexität des menschlichen Körpers aus. "In früheren Zeiten wurde die anatomische Sammlung gerne als Gruselkabinett genutzt", erklärte Prof. Neuhuber. "Vor oder nach der Bergkirchweih war es etwa Brauch, die Anatomie zu besuchen und sich allerlei Schauergeschichten erzählen zu lassen. Heute nehmen wir Anatomen von diesem Zweck Abstand, schließlich sind diese Präparate vor allem Medizin- und teilweise auch Kunstobjekte, die mit Achtung dem jeweiligen Menschen gegenüber betrachtet werden sollen."

Wissen, was unter der eigenen Haut liegt

Die Teilnehmer der Stippvisite hielten bei ihrem Rundgang zwischen den Vitrinen mal vor dem einen oder dem anderen Exponat inne, studierten es genau und fassten sich manchmal sogar an die eigene Haut, nun sehen könnend, was gleich darunter liegt. Die Besucher Heidi und Andreas Heubeck waren, wie nicht wenige an diesem Abend, fasziniert von der Führung. "Die Exponate hier im Institut sind vor allem deshalb interessant, weil man so viele Details, zum Beispiel auch noch die Haut, erkennen kann. Wahnsinn, wie viel Arbeit in so einer Aufbereitung steckt!"

Wofür man die Sammlung heute noch brauche, fragte ein Teilnehmer. "In erster Linie nutzen wir die Exponate für die Lehre", antwortete Prof. Neuhuber. "Medizinstudenten in den vorklinischen Semestern lernen von den Präparaten über das Aussehen und die Anordnung von Körperteilen und deren Innerstem, etwa beim Kopf. Ein Bild in einem Lehrbuch ist immer noch nicht dasselbe wie ein echtes Präparat." Die Sammlung wird regelmäßig für Besucher geöffnet, zum Beispiel im Rahmen der zweimal jährlich stattfindenden Führungen des Collegiums Alexandrinum der FAU.

 

 

Stippvisite Anatomie

Stippvisite Anatomie

Foto: Uni-Klinikum Erlangen

Stippvisite Anatomie

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Erforschen und staunen, das konnten die Besucher der medizinhistorischen Stippvisite beim Besuch der Anatomiesammlung. Foto: Uni-Klinikum Erlangen

Stippvisite Anatomie

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Erforschen und staunen, das konnten die Besucher der medizinhistorischen Stippvisite beim Besuch der Anatomiesammlung. Foto: Uni-Klinikum Erlangen

Stippvisite Anatomie

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Prof. Dr. Winfried Neuhuber, Direktor des Instituts für Anatomie erklärte den Besuchern der Stippvisite die Geschichte der Erlanger Anatomie. Foto: Uni-Klinikum Erlangen