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23.03.2016: Stippvisite "Vom Gebärhaus zur modernen Frauenklinik"

Vom Gebärhaus zur modernen Frauenklinik

Medizinhistorische Stippvisite gewährte Einblicke in die Geschichte der Frauenklinik

Während in der Forschung und in der Medizin in den vergangenen zwei Jahrhunderten am Universitätsklinikum Erlangen gewaltige Veränderungen zu beobachten waren, blieb ein grundsätzlicher Umstand unverändert: die Geburt von Babys. Wie sich die Risiken und Möglichkeiten von Empfängnis und Niederkunft mit den Jahren verändert haben, das zeigte die medizinhistorische Stippvisite in der Frauenklinik (Direktor: Prof. Dr. Matthias W. Beckmann) des Uni-Klinikums Erlangen am Mittwoch, 23.03.2016, geführt von PD Dr. Wolfgang Frobenius und Prof. Dr. Ralf Dittrich.

Wer über Historisches berichtet, der sollte dies auch in einem passenden Umfeld tun. Daher begann Dr. Frobenius, ehemaliger Oberarzt der Erlanger Frauenklinik, die medizinhistorische Stippvisite in einem Hörsaal aus dem Jahr 1906, in dem die hölzernen Sitzreihen geschichtsträchtig knarzten. Die Geburtshilfe war anfänglich ein traditionell weiblich geprägtes Berufsfeld: Hebammen wurden von ihresgleichen in der Behandlung schwangerer Frauen und in den Techniken der Entbindung ausgebildet. "Erst mit dem Aufbau eines multidisziplinären Medizinstudiums kam die akademische Frauenheilkunde auch im Erlangen des 18. Jahrhunderts in Schwung", erklärte Wolfgang Frobenius. Zunehmend wendete sich das Interesse der Ärzte hin zu den medizinischen Hintergründen - nicht nur der Geburt, sondern auch weiblicher Beschwerden und Krankheiten.

Zugang zum "lebenden Objekt" bekamen die Professoren und Studenten vor allem in den Entbindungshäusern der Klinik. 1828 öffnete das erste Geburtshaus in Erlangen - auf den Weg gebracht von Philipp Anton Bayer (1791 - 1832), Extraordinarius für Entbindungskunst. Im Marchandschen Haus konnten meist unverheiratete und mittellose Frauen vor den Stadttoren ihre Kinder zur Welt bringen und wurden dort für einige Tage kostenlos versorgt. Im Gegenzug sollten sie sich für Lehr- und Forschungszwecke als "Anschauungs- und Untersuchungsobjekte" zur Verfügung stellen. "Für viele junge Frauen", berichtete Dr. Frobenius, "war das ein großes Problem, weil die Untersuchung - noch dazu vor einem Publikum - eine traditionelle Tabugrenze überschritt. Deshalb hatten die damaligen Professoren enorme Probleme, ihren Studenten genügend Patienten für den Unterricht anzubieten." Im Jahr 1854 zog die Entbindungsanstalt näher an das Uni-Klinikum im Herzen der Stadt und bezog einen Neubau in der Krankenhausstraße - dort, wo heute das Pathologische Institut steht. 1869 weitete sich die Erlanger Frauenheilkunde offiziell über die Entbindung hinaus aus: Karl Ludwig Ernst Friedrich Schröder (1838 - 1887) wurde zum Professor für Gynäkologie und Geburtshilfe ernannt. Im Jahr 1878 schließlich wechselte die Frauenklinik erneut ihren Standort und zog in den "Schröder-Zweifel-Bau" in der Universitätsstraße, welcher noch heute den Ostteil der Klinik bildet.

Ein langer Weg bis zum modernen Kreißsaal

"Die Geburt war das gefährlichste Ereignis im Leben einer jungen Frau", erklärte Dr. Frobenius und verwies auf die hohen Sterblichkeitsraten von Müttern und Neugeborenen bis zum Ende des 19. Jahrhunderts. Lebensbedrohlich waren für die jungen Frauen besonders der Blutverlust und häufige Infektionen. Durch die Etablierung von Antibiotika im 20. Jahrhundert, der Optimierung von Geburtstechniken wie den Kaiserschnitt ab den 1950er-Jahren, und durch die heutige Schnellversorgung mit Bluttransfusionen und Not-OPs ging die Müttersterblichkeit in Erlangen auf einen Promillewert zurück. Entbanden in der ersten Entbindungsanstalt im Marchandschen Haus Frauen noch in Zimmern, in denen bis zu fünf weitere Schwangere lagen, gibt es für werdende Mütter und Väter heute modernste Kreißsäle und Ruheräume zur alleinigen Verfügung.

Pionierarbeit am OP-Tisch

Nach der Vorlesung im historischen Hörsaal führte Dr. Frobenius die Besuchergruppe in die alte Bibliothek der Frauenklinik. Er erklärte, dass die Entwicklung der modernen Gynäkologie zu einem großen Teil mit der Geschichte der Chirurgie verknüpft sei. Zum Ende des 19. Jahrhunderts bemühten sich die Ärzte verstärkt, Frauen mit Krebsgeschwüren an Gebärmutter oder Eileitern operativ zu helfen, statt sie, wie damals üblich, in ein Siechenhaus zu schicken. Vorausgegangen war die Einführung der Äthernarkose im Jahr 1847. Die ersten experimentellen Operationen endeten in vielen Fällen mit dem Tod der Patientinnen, dennoch brachte jeder Eingriff neue Erkenntnisse, so dass die Ärzte ihre Techniken zunehmend entwickeln konnten. In Erlangen leisteten vorrangig Paul Zweifel (1848 - 1927) und Richard Frommel (1854 - 1912) Pionierarbeit am Operationstisch und verbesserten die Verfahren, um Krebsgeschwüre zu entfernen und Eileiterschwangerschaften zu behandeln.

Helle und dunkle Phasen der Frauenklinik

Ab den 1920er-Jahren begann mit dem Klinikdirektor Hermann Wintz (1887 - 1947) eine Neuorientierung für die Frauenklinik des Uni-Klinikums: Hermann Wintz baute ein international anerkanntes und bekanntes Röntgeninstitut auf und brachte damit interessierte Gäste aus aller Welt nach Erlangen. "Durch die Bestrahlungstherapie wurden Krebserkrankungen nun nicht mehr allein operativ behandelt, was ein völliges Novum war", erklärte Dr. Frobenius. "Leider wird mit Hermann Wintz heute nicht nur eine positive Entwicklung assoziiert. In den 1930er-Jahren begann die dunkle Phase der Frauenklinik", sagte der jahrelange Oberarzt und berichtete den Besuchern von Zwangssterilisationen und -abtreibungen, die zur Zeit des Nationalsozialismus durchgeführt wurden. Bei mindestens 136 Zwangsarbeiterinnen aus dem Osten wurden in Erlangen Zwangsabtreibungen durchgeführt. In über 500 Fällen sterilisierten Erlanger Ärzte vor allem Patientinnen aus Heilpflegeanstalten. "Heute müssen wir uns mit dem Wissen auseinandersetzen, dass in der Frauenklinik nicht nur Fortschritt stattfand, sondern auch Unrecht geschah, an das wir erinnern und vor dem wir mahnen müssen", schloss Dr. Frobenius.

War die Frauenklinik von den 1920er-Jahren bis in die 1960er fast ausschließlich strahlentherapeutisch tätig gewesen, wendeten sich die Gynäkologen ab 1962 unter dem neuen Klinikdirektor Karl Günther Ober (1915 - 1999) wieder der operationstechnischen Behandlung zu. Heute ist die (gynäkologische) Chirurgie besonders durch die minimalinvasive Laparoskopie geprägt. Diese Schlüssellochtechnik verspricht schonendere Eingriffe, eine bessere Sicht für den Operateur, eine schnellere Heilung sowie kleinere Narben für den Patienten.

Eltern mit Kinderwunsch sind in Erlangen genau richtig

Seit den 1980er-Jahren macht die Frauenklinik regelmäßig mit ihrem erfolgreichen Fortpflanzungszentrum bundesweit Schlagzeilen, wie Prof. Dr. Ralf Dittrich, Leiter des IVF- und Endokrinologischen Labors, zum Abschluss berichtete. 1982 kam in Erlangen das erste Baby in Deutschland zur Welt, das aus einer In-vitro-Fertilisation (IVF) hervorgegangen war. Dieses erste deutsche Retortenbaby markierte den Beginn der fortlaufenden Spitzenreproduktionsmedizin aus Mittelfranken. 1986 dann der nächste Durchbruch: Erlanger Ärzten gelang es, eine Mutter ihren zuvor tiefgekühlten Embryo auf natürlichem Wege austragen zu lassen. Ein Jahr später wurde das erste Baby aus einer tiefgefrorenen Eizelle geboren. "Für krebskranke Frauen, die zum Beispiel durch die Strahlenbehandlung drohen unfruchtbar zu werden, oder für Paare mit bisher unerfülltem Kinderwunsch bietet die moderne Reproduktionsmedizin hoffnungsgebende Möglichkeiten, zum Beispiel die Kryokonservierung von Eierstockgewebe, um trotzdem Eltern zu werden", sagte Prof. Dittrich.

Weitere Informationen:

Prof. Dr. Ralf Dittrich
Telefon: 09131 85-33553
E-Mail: ralf.dittrichuk-erlangende

Stippvisite Frauenklinik

Stippvisite Frauenklinik

Passende Kulisse für einen geschichtlichen Abend: Der Kleine Hörsaal der Frauenklinik aus dem Jahr 1906. Foto: Uni-Klinikum Erlangen

Stippvisite Frauenklinik

Stippvisite Frauenklinik

Die Besucher der medizinhistorischen Stippvisite in der Frauenklinik des Uni-Klinikums Erlangen konnten nach der historischen Vorlesung einen Blick durch das Mikroskop werfen und lebende Spermien beobachten. Foto: Uni-Klinikum Erlangen

Stippvisite Frauenklinik

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In der historischen Bibliothek werden normalerweise Lehrvorträge gehalten. Foto: Uni-Klinikum Erlangen