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02.03.2016: Stippvisite "Die Toten lehren die Lebenden"

Einblicke in die konservierte Geschichte der Erlanger Pathologie


"Wer sind wir und was machen wir eigentlich?“, fragte Prof. Dr. Arndt Hartmann, Direktor des Pathologischen Instituts des Universitätsklinikums Erlangen, seine Gäste bei der zweiten medizinhistorischen Stippvisite (02.03.2016). Bevor Prof. Hartmann die Arbeit des Pathologischen Instituts aus historischer und moderner Perspektive vorstellte, räumte er zunächst mit ein paar Vorurteilen auf, die vor allem im Fernsehen transportiert werden.

Weder Quincy aus der berühmten US-amerikanischen Kriminalserie der 1970er- und 80er-Jahre noch Prof. Dr. Karl-Friedrich Boerne aus dem beliebten Münsteraner "Tatort" entsprächen dem realen Pathologen. "In der Pathologie arbeiten wir hauptsächlich in der Untersuchung von Gewebeproben am Mikroskop. Wir wollen auf Zellebene herausfinden, ob und warum ein Körper krank ist", erläuterte Prof. Hartmann. "Ich kann aber das falsche Verständnis der pathologischen Arbeit absolut verstehen: Wir sehen abends im Fernsehen einen Krimi, um 20.20 Uhr kommt die erste Leiche und dann ist ‘der Pathologe‘ da." So entstünden die meisten Missverständnisse um sein Berufsbild, denn "die aus dem Fernsehen mit den Leichen“ das seien eigentlich die Gerichtsmediziner. Trotzdem sei der Mosaikspruch in der historischen Eingangshalle des Erlanger Instituts "Mortui Vivos Docent“, die Toten lehren die Lebenden, nicht verkehrt. Der große Wissensfundus, aus dem Pathologen, Gerichtsmediziner und Anatomen schöpfen, verdankt seine Fülle den Leichenöffnungen und -studien vergangener Jahrhunderte.

Geschichte von gestern und morgen

Nach der korrekten Vorstellung seiner Disziplin gab Arndt Hartmann den rund 120 interessierten Besuchern anschließend einen Einblick in deren spannende akademische Geschichte. Die Pathologie wurde im 18. Jahrhundert durch Giovanni Batista Morgagni begründet und erst im Jahre 1858 mit Rudolf Virchows Abhandlung "Cellularpathologie" als selbstständiges Fach aus der Anatomie enthoben. Die Erlanger Universität war eine der ersten, die mit der Gründung eines eigenständigen pathologischen Instituts auf die akademische Emanzipation Rudolf Virchows reagierte: Bereits 1862 wurde Friedrich Albert von Zenker zum ersten Lehrstuhlinhaber der Erlanger Pathologie berufen.

Heute, so berichtete Prof. Hartmann, bestehe die Arbeit des Pathologen zu 90 Prozent aus der histopathologischen Diagnostik - der mikroskopischen Untersuchung von Gewebeproben auf krankhafte Auffälligkeiten. Nur 5 Prozent seiner Arbeit fielen auf die klinischen Obduktionen, die so oft mit der Pathologie assoziiert werden. Auch hier gebe es einen deutlichen Unterschied zur oft verwechselten Gerichtsmedizin. Denn diese führt eine Leichenuntersuchung bei unklaren und nicht natürlichen Todesfällen durch. Die Pathologen, erläuterte Arndt Hartmann, würden dies nur im Auftrag der behandelnden Ärzte tun, um eine Todesursache festzustellen. Möglich sei das aber nur, wenn die Angehörigen vorher zugestimmt haben. Neben dem Blick durch das Okular habe der Pathologe immer mehr auch den Ausblick in die Zukunft: "Die Experimentelle Tumorpathologie und die Diagnostische Molekularpathologie liefern die Krebstherapien von morgen", sagte Prof. Hartmann. Während Ärzte heute Krebspatienten nur mit wenigen Medikamenten pauschal behandeln könnten, sei in einigen Jahren eine maßgeschneiderte Therapie auf der Grundlage der spezifischen DNA-Veränderungen der Tumorzellen möglich, um die Erfolgschancen der Behandlung wesentlich zu erhöhen.

Ein Blick mit Verantwortung

Aus dem historischen Hörsaal führte Prof. Hartmann die Stippvisiten-Teilnehmer anschließend in die modernen Routinelabors. Zwei Diagnostikwege gebe es in der Gewebeprobenuntersuchung: einen normalen und einen schnellen. Beim normalen Weg, wie er in der Pathologie des Uni-Klinikums Erlangen tagtäglich für ca. 200 Patienten abläuft, wird eine Biopsie, zum Beispiel eine Probe aus dem Dickdarm, in die Pathologie geschickt. Nach der Fixierung wird die Probe in Kerzenwachs eingebettet und anschließend von einem Medizinisch-Technischen Angestellten (MTA) in hauchdünne 3 – 5 Mikrometer dicke Scheiben geschnitten. Diese legt der MTA anschließend auf einen Glasträger und färbt sie mit verschiedenen Farbstoffen ein, damit der Pathologe die Untersuchung unter dem Mikroskop beginnen kann. Von einer großen Gewebeprobe werden auf diese Weise bis zu 50 Wachsblöcke angefertigt. Arndt Hartmann betonte: "Wir sind zwar ein Labor, aber wir arbeiten nur sehr wenig mit automatischen Maschinenvorgängen. In der Pathologie ist das meiste noch Handarbeit." Beim normalen Diagnostikweg wird das Ergebnis der Untersuchung dem Einsender in der Regel innerhalb von ein bis drei Tagen mitgeteilt.

"Der schnelle Weg führt zu uns, während der Patient noch auf dem Operationstisch liegt", so Prof. Hartmann. In der sogenannten Schnellschnittdiagnostik gehe es darum, direkt festzustellen, ob ein Gewebe gutartige oder bösartige Veränderungen zeigt, damit die Chirurgen gleich wissen, ob sie weiteres Tumorgewebe entfernen müssen oder die Operation beenden können. Rund 20 - 30 Mal pro Tag würde Gewebe aus dem OP per Expresskurier gebracht. Daher lastet auf den Pathologen neben Zeitdruck auch eine enorme Verantwortung. Denn sie stellen nicht nur Diagnosen auf, sondern geben den Ärzten auch Empfehlungen zur weiteren Behandlung, gemessen an der Schwere des Untersuchungsergebnisses. Ob eine radikale Krebstherapie erfolgen muss oder ob ein Tumor vorerst nur beobachtet werden sollte, das entscheiden zur Sicherheit immer mehrere Ärzte gemeinsam.

Konservierte Kostbarkeiten

Weiter ging die spannende Führung in den Obduktionssälen. Hier übernahmen Dr. Carol-Immanuel Geppert, Assistenzarzt in der Pathologie des Uni-Klinikums Erlangen, und Medizinstudent Philip Eichhorn die Besuchergruppe. Die Glaskästen auf dem Tisch, gefüllt mit klarer Flüssigkeit und schaurig-faszinierendem Inhalt, ließen gleich erahnen, worüber die beiden berichten würden: die große Präparatesammlung der Erlanger Pathologie. Der Bestand umfasst rund 1.270 medizinisch wertvolle, konservierte Körperteile aus über 100 Jahren. Eines der ältesten Präparate besteht aus einem winzigen Kinderherz und der zugehörigen Lunge von 1897. In kleinen Schritten erfolge die teure und durch Spenden getragene Aufbereitung alter Präparate, damit sie auch weiterhin Studenten und Interessierten zur Verfügung ständen.

Stippvisite Pathologie

Stippvisite Pathologie

Prof. Dr. Arndt Hartmann erklärte im Labor die tägliche Arbeit der Pathologen und MTAs. Foto: Uni-Klinikum Erlangen

Stippvisite Pathologie

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Dr. Carol-Immanuel Geppert (links) und Philip Eichhorn führten die Teilnehmer in den Obduktionssaal. Foto: Uni-Klinikum Erlangen

Stippvisite Pathologie

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Dr. Carol-Immanuel Geppert (links) und Philip Eichhorn zeigten den Besuchern der medizinhistorischen Stippvisite in der Pathologie Auszüge aus der wertvollen Präparatesammlung. Foto: Uni-Klinikum Erlangen