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09.03.2016: Stippvisite Die Apotheke des Uni-Klinikums – vom Medikamentenmörser zur modernen Arzneimittelfertigung nach industriellen Standards

Höchste Qualität in Eigenproduktion

Dritte medizinhistorische Stippvisite führte Besucher in die Apotheke des Uni-Klinikums

Ganz grob lässt sich die Medizin in zwei Tätigkeiten einteilen: Das Diagnostizieren und das Therapieren. Nach der Diagnose des Arztes macht die Pharmazie, die Lehre von Arzneien und Heilmitteln, seit den Anfängen der Medizinhistorie einen essentiellen Teil in der Behandlung von Patienten aus. Wie diese Wissenschaft in mehr als drei Jahrtausenden gewachsen ist und heute im Universitätsklinikum Erlangen nach industriellen Standards weiter vorangetrieben wird, das erfuhren die Besucher der dritten medizinhistorischen Stippvisite von Chefapotheker Prof. Dr. Frank Dörje und seinen Mitarbeitern.

Jeder ist schon einmal in einer Apotheke gewesen. Nasenspray? Kopfschmerztabletten? Hustensaft? Kein Problem, das gibt's alles beim Apotheker "um die Ecke". Aber wie sieht es in der Apotheke eines großen Uni-Klinikums aus? Was wird dort anders gemacht? Chefapotheker Prof. Dörje hatte am vergangenen Mittwoch (09.03.2016) ein Ziel: den Teilnehmern seiner Stippvisite zu zeigen, dass sich hinter dem Begriff "Apotheke" weit mehr verbirgt als die bekannte Erfahrung.

Eine Zeitreise 3.500 Jahre in die Vergangenheit

Bereits vor 3.500 Jahren, so lasse sich in der Schrift des Papyrus Ebers nachlesen, wussten die Ägypter aus rund 800 Rezepturen und 700 Arzneistoffen Schmerzmittel und Gegengifte herzustellen, erklärte Prof. Dörje bei einem einführenden Geschichtsvortrag.

Im antiken Griechenland trieb schließlich vor allem König Mithridates VI. (134 v. Chr. - 63 v. Chr.) die Entwicklung von multistofflichen Gegengiften, sogenannten Antidots, voran. Das hatte einen guten Grund: Der Herrscher lebte in dauernder Angst vor Giftanschlägen. Aus den Antidota ging das opiumhaltige Theriak, das beliebteste Universalheilmittel des Mittelalters hervor, verwendet unter anderem bei Pest, Syphilis und Cholera. "Leider", erklärte Prof. Dörje, "war das Mittelalter keine Zeit der Erkenntnis, sondern für die Wissenschaft eher eine dunkle Epoche." Aufgrund von Völkerwanderungen und religiösem Misstrauen gegenüber der Naturheilkunde gingen viele pharmazeutische Kenntnisse verloren. Mönche und Kräuterfrauen versuchten dennoch das Wissen um heilbringende Arzneien zu bewahren.

Im Jahr 1231 wurde mit dem Edikt von Salerno die offizielle Trennung des Arzt- und Apothekerberufs verabschiedet. "Dies trug zur 'Qualitätssicherung' des Berufsstandes der Mediziner bei, während gleichzeitig verhindert wurde, dass Ärzte an Arzneien Geld verdienten", so Prof. Dörje. Auch mit dem ersten amtlichen Arzneibuch wurde im Jahr 1872 das Ziel verfolgt, durch die Standardisierung von Rezepturen die Qualität der Arzneien zu verbessern.

Sprung von der Natur in die Chemie

Einen Paradigmenwechsel erfuhr die Pharmazie im Laufe des 19. Jahrhunderts: Mit der Isolierung von Reinsubstanzen aus Naturstoffen erhielt die Wissenschaft Zugang zu Stoffen wie Morphium, Chinin, Koffein und Kokain. Die Erfolgsreihe gipfelte in der Herstellung von Acetylsalicylsäure, welche die Geburt des 1899 erschienenen Aspirins® markierte. "Das Aspirin ist bis heute eine der wichtigsten Arzneien der Welt - ein Jahrhundertmedikament", machte Prof. Dörje deutlich. Der deutsche Arzt und Forscher Paul Ehrlich (1854 - 1915) machte einen weiteren fundamentalen Schritt: Er war der Erste, der ein chemisches Mittel gegen eine bakterielle Infektion fand und anwendete. "Wir wollen den Parasiten genau treffen", schrieb Paul Ehrlich im Jahr 1909. "Das heißt, wir müssen chemisch zielen lernen." Mit dem Verkaufsstart des chemotherapeutischen Syphilis-Medikaments Salvarsan® im Jahr 1910, legte der Arzt den Grundstein für die heutige Antibiotika-Therapie.

"Fliegende Apotheke" in Erlangen

Nach über dreieinhalbtausend Jahren pharmazeutischer Geschichte gelangte Prof. Dörje an die historischen Anfänge der Apotheke des Uni-Klinikums Erlangen, die 1957 gegründet wurde. Damals noch in der Universitätsstraße 22 angesiedelt, zog die rasch gewachsene Abteilung 1997 in das neu errichtete Versorgungszentrum im Ulmenweg. Im Jahr 2009 gelang zusammen mit der uniklinikumseigenen KlinikMedBau GmbH eine hochmoderne und außergewöhnliche Erweiterung. Prof. Dörje erinnerte sich: "Baugrund in Erlangen ist teuer und ein Mangelgut. Deshalb haben wir die neuen Pharmaproduktions-Reinräume einfach als Modulbauelemente mit einem Kran auf unser Dach gehoben." Dort befindet sich nun das moderne GMP-Reinraumlabor, ein Herzstück der Erlanger Uni-Klinikums-Apotheke.

Niesen verboten!

Genau hier begann die eigentliche Führung für die über 60 Besucher der Stippvisite. Mit blauen Schuhüberziehern ausgestattet, ging es für die Besuchergruppe in raschelnden Schritten durch die Flure der Apotheke, in der heute 65 Fachkräfte arbeiten. Mehrere Hygienestufen gibt es in den Räumlichkeiten, berichtete die Apothekerin Katja Stock. Die Gänge etwa dürfen nur mit Überziehern betreten werden. Strengere Hygienestufen in anderen Räumen sehen die Bekleidung mit Handschuhen und Mundschutz vor, zum Beispiel während der Herstellung von Kapseln. Die höchsten Produktionshygienevorschriften aber gelten im Reinraumlabor, in dem individuelle Infusionen und Arzneien für die sensibelsten Behandelten, etwa für Frühchen und Schwersterkrankte, hergestellt werden. Die Besucher der Stippvisite durften daher nur durch die Scheibe hineinschauen. "Um in unserem Reinraumlabor arbeiten zu können, müssen die Pharmazeuten und Pharmazeutisch-technischen Assistenten speziell geschult sein. Zunächst wird sich gründlich gewaschen und desinfiziert, dann packen wir uns von Kopf bis Fuß ein - wie die Mondmenschen", erklärte Katja Stock und hielt die Arbeitskleidung, einen hellblauen Overall aus festem Stoff, in die Höhe. Ebenfalls zur Laborausrüstung gehören dicke Stiefel, eine Haube, ein Mundschutz und gleich zwei Paar Handschuhe, die alle 30 Minuten gewechselt werden müssen. Und wenn mal die Nase juckt? "Kratzen geht natürlich nicht", sagte die Pharmazeutin. "Wer niesen muss, der unterdrückt den Reflex oder geht schnell raus, niest, und muss sich anschließend komplett neu waschen und einkleiden - eine Prozedur von 20 Minuten." Ein Mann aus der Gruppe nieste wie auf Kommando und sah die Apothekerin schuldbewusst an. "Gesundheit! Hier draußen dürfen Sie das!", sagte Katja Stock lachend.

Pharmazeutisches Logistikzentrum

Die eigene Medikamentenherstellung in der Apotheke des Uni-Klinikums Erlangen ist das Besondere an der Einrichtung. "Wer selbst herstellt, der muss nicht alles teuer einkaufen", erklärte Katja Stock. "Außerdem wird nicht alles industriell hergestellt, was im Alltag gebraucht wird. Wir stellen bei uns unter anderem Ernährungsbeutel für Frühchen, Infusionen zur Enzymersatztherapie und auch Zytostatika für die Krebstherapie her. Dank der Eigenproduktion können wir unsere Produkte auf jeden Patienten 'maßgeschneidert' anpassen und noch dazu sehr ökonomisch arbeiten." Weiterhin müssen die Pharmazeuten aber auch viele Produkte einkaufen. So reihen sich im Erdgeschoss der Apotheke Regalreihen voller Medikamentenverpackungen aneinander wie in einer Bibliothek. Auch das normale Nasenspray findet sich hier. Ein öffentlicher Verkauf finde aber nicht statt, sagte Katja Stock. Die Produkte seien allein für das Uni-Klinikum bestimmt. In Kartons stapeln sich hunderte Anlieferungen, so organisiert eingelagert, wie in einem Logistikzentrum. Rund 2.200 verschiedene Arzneimittel hat die Apotheke des Uni-Klinikums Erlangen auf Vorrat, pro Woche werden 60 - 80 Europaletten mit neuen Produkten angeliefert. Das Ziel, erklärte Katja Stock ihrer Besuchergruppe, sei eine reibungslose Versorgung aller Patienten, so kostengünstig wie möglich, aber so effizient wie nötig. "Wenn jemand ein teures Medikament benötigt, dann bestellen wir dieses natürlich trotzdem, keine Frage. Der Patient steht bei uns und den Ärzten immer an erster Stelle."

Stippvisite Apotheke

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Unter strengster Überwachung im aseptischen Reinraumlabor hergestellt: Die überlebenswichtigen Ernährungsbeutel für die kleinsten Patienten auf der Neonatologischen Intensivstation.

Stippvisite Apotheke

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Die Apothekerin Katja Stock erklärt den Besuchern der medizinhistorischen Stippvisite in der Apotheke des Uni-Klinikums Erlangen die strengen Hygienevorschriften der Labore.

Stippvisite Apotheke

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Pro Jahr stellt die Apotheke des Uni-Klinikums Erlangen über 32.000 Flaschen mit endsterilisierten Injektions- und Infusionslösungen her: Produkte, die von der Pharmaindustrie nicht geliefert werden können.

Stippvisite Apotheke

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Einblick nur durch die Scheibe: Wer im top aufgeräumten Reinraumlabor der Apotheke arbeitet, der soll sich nicht nur nach strikten Regeln reinigen und einkleiden, sondern muss sich auch das Niesen verkneifen, solange er an der Produktionswerkbank sitzt.