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20.04.2016: Stippvisite "Krankheitsbilder in Wachs"

Historische Moulagensammlung

Die letzte von insgesamt acht medizinhistorischen Stippvisiten wartete noch einmal mit medizinischen Schätzen auf: Prof. Dr. Michael Sticherling, stellvertretender Direktor der Hautklinik des Universitätsklinikums Erlangen, präsentierte und erklärte den Besuchern die historische Moulagensammlung.

"Mit Madame Tussauds haben unsere Moulagen nichts zu tun", versicherte Prof. Sticherling gleich zu Beginn der medizinhistorischen Stippvisite in der Hautklinik. Nach etablierter Stippvisitentradition eröffnete der leitende Oberarzt die Veranstaltung mit einem interessanten Vortrag über die medizinische Geschichte und Moderne seines Fachs. "Das Wichtigste zuerst: Was sind überhaupt Moulagen?", fragte der Dermatologe seine Besucher. Neugierige Blicke und wissendes, aber vornehmes Schweigen waren die Antworten aus dem Publikum. "Moulagen sind Eins-zu-eins-Wachsabbildungen von erkrankten Körperteilen", erläuterte Michael Sticherling. "Sehen Sie, wir Dermatologen sind optische Menschen, wir wollen sehen, wie eine Krankheit aussieht, wie sie sich entfaltet und wächst - wie eine aufblühende Blume." Im 19. bis ins frühe 20. Jahrhundert wurden vornehmlich Geschlechts- und andere Infektionskrankheiten, die vorherrschenden Hauterkrankungen dieser Zeit, in Wachs konserviert - bestimmt für die akademische Lehre von Studenten und auszubildenden Ärzten sowie zur Aufklärung und Mahnung der Bevölkerung vor den Gefahren fehlender Hygiene.

Kunst und Handwerk in einem

"Die Fertigung dieser dreidimensionalen lebensechten Wachsabdrücke ist eine Kunst für sich", erklärte Prof. Sticherling. Die Wachsbildner der Hochzeit des 17. und 18. Jahrhunderts, als Vorgänger der eigentlichen Mouleure des 19. und 20. Jahrhunderts, stammten meist aus den medizinischen Zentren der damaligen Zeit wie Florenz und Bologna. Sie wurden gleichzeitig als Künstler und Handwerker bezeichnet. Eine Moulage in ihrer klassischen Form wurde in sechs Schritten hergestellt. Zunächst entstand ein Gipsabdruck der echten Erkrankung am Patienten. "Sowohl die Anmischung des Gipses als auch seine Anbringung auf der Haut waren Fertigkeiten, die viel Übung und Talent erforderten", beschrieb Michael Sticherling seinen Zuhörern den komplexen Vorgang. Den Gipsabdruck goss der Hersteller anschließend mit Wachs aus - die Rezepturen waren, wie beim Bäckermeister, ein Geheimnis des Mouleurs. Anschließend löste er das ausgehärtete Wachs aus der Gipsform und färbte den Abdruck lebensecht ein. Die fertige Moulage wurde anschließend auf einer schwarzen Holzplatte angebracht, zum Schutz mit Füllmaterialien wie Wolle ausgepolstert und optisch ansprechend mit Stoff eingefasst. "Die großartige Kunst, die hinter diesen Stücken steckt, ist neben der Herstellung auch das Endergebnis - je echter der Wachsabdruck aussieht, desto besser war der Mouleur", berichtete Prof. Sticherling. Die Erlanger Hautklinik, die sich im Jahr 1924 mit der Ernennung Leonardt Haucks zum ordentlichen Professor aus der Inneren Medizin emanzipierte, ist eine von wenigen Kliniken und Instituten in Europa, die heute noch eine Moulagensammlung besitzen. Die größten dieser Art befinden sich in Paris, Zürich, Wien und Breslau. Die Erlanger Sammlung zählt 147 Exponate.

Für die moderne Lehre unersetzbar

Mit dem Aufkommen der modernen Farbfotografie in den 1950er-Jahren hatten die Moulagen als Objekte der medizinischen Dokumentation ausgedient und die Herstellung wurde größtenteils eingestellt. "Ihren Wert für die Lehre haben diese Kostbarkeiten dennoch keineswegs verloren", betonte Prof. Sticherling, als er die Besuchergruppe durch die Gänge des Internistischen Zentrums führte, bis sie die öffentlich ausgestellte Moulagensammlung des Uni-Klinikums Erlangen im 1. Obergeschoss erreichten. "Wir mögen zwar heute in der Lage sein, Fotos von aktuellen Krankheitsbildern zu machen, aber die Moulagen können uns dreidimensionales Anschauungsmaterial zu Krankheiten liefern, die wir heute, zumindest in unserem Kulturkreis, nicht mehr zu sehen bekommen." So zeigt die Erlanger Moulagensammlung hauptsächlich Abbildungen von Geschlechtskrankheiten wie der Syphilis und entzündlichen Erkrankungen wie der Tuberkulose. Mit Interesse und Neugier sammelten sich die Stippvisitenteilnehmer um die luftdichten Spezialschränke und studierten durch deren Glastüren die schaurig-schönen Wachsabformungen. "Ein bisschen seltsam ist das schon", sagte ein Besucher. "Die Moulagen sehen so echt aus" - ein Lob, über das sich der Mouleur gefreut hätte.

Weitere Informationen:

Prof. Dr. Michael Sticherling
Telefon: 09131 85-33851
E-Mail: michael.sticherlinguk-erlangende

Stippvisite Moulagensammlung

Stippvisite Moulagensammlung

Die Erlanger Moulagensammlung befindet sich im 1. Obergeschoss des Internistischen Zentrums im Ulmenweg 18. Foto: Uni-Klinikum Erlangen

Stippvisite Moulagensammlung

Stippvisite Moulagensammlung

Je echter die Wachsabformungen aussehen, desto höher ist die Kunstfertigkeit des Mouleurs zu schätzen. Foto: Uni-Klinikum Erlangen

Stippvisite Moulagensammlung

Stippvisite Moulagensammlung

Mit interessiertem Blick betrachteten die Besucher der Stippvisite die Moulagen in ihrem luftdichten Aufbewahrungsschrank. Foto: Uni-Klinikum Erlangen