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Chirurg mit Weltruf – Carl von Thiersch (1822 – 1895)

Carl Thiersch (1822 – 1895). Porträtsammlung der Universitätsbibliothek der FAU Erlangen-Nürnberg
Carl Thiersch (1822 – 1895). Porträtsammlung der
Universitätsbibliothek der FAU Erlangen-Nürnberg

Mitte des 19. Jahrhunderts galt er als einer der bedeutendsten Chirurgen seiner Zeit - Carl von Thiersch verbesserte zahlreiche Operationsmethoden und Verbandstechniken. Aber auch wegen einer bahnbrechenden Forschung zum Epithelkrebs der Haut, mit der er die Krebslehre von Rudolf Virchow widerlegte, begründete von Thiersch seinen weltweiten Ruf. Von 1854 bis 1867 war Carl von Thiersch Leiter des Chirurgischen Klinikums Erlangen.

Erfolg versprechende Anfänge in München

Thierschs akademische Ausbildung begann in seinem Geburtsort München. Nach erfolgreichem Medizinstudium von 1838/39 bis 1843, Promotion und mehreren Studienaufenthalte in den Medizinhochburgen Berlin und Wien, wurde Thiersch im August 1844 klinischer Assistent an der Chirurgischen Abteilung des Städtischen Allgemeinen Krankenhauses in München. 1853 zum außerordentlichen Professor ernannt, war er ab 1854 auch Choleraarzt in München und Mitglied der Kommission zur Erforschung der Cholera.

Berufung nach Erlangen 1854/55

Die Berufung zum ordentlichen Professor für Chirurgie und Augenheilkunde sowie zum Direktor der Chirurgischen Klinik Erlangen zum Wintersemester 1854/55 stellte einen wichtigen Karrieresprung für den überaus geschickten Operateur dar. In den 13 Jahren seiner Zugehörigkeit zur Erlanger Fakultät baute er seine ausgezeichneten operativen Fähigkeiten noch weiter aus. Neben den zahlreichen erfolgreichen Kataraktoperationen gelang ihm hier die erste operative Korrektur von Missbildungen im Urogenitaltrakt. Angeregt durch seinen Berliner Lehrer Johann Friedrich Dieffenbach (1792-1847) arbeitete Thiersch darüber hinaus intensiv an der Verbesserung der Plastischen Chirurgie. Die Rekonstruktionen von Nasen gehörten später zu seinen größten Operationserfolgen. In Erlangen entwickelte sich Thiersch zum anerkannten Experten im Herstellen mikroskopischer Präparate, vor allem seine Injektionen von gefärbtem Leim in die Gefäße der Organe waren weltweit geschätzt.

Steigende Patientenzahlen - unzureichende Etatmittel

Mit seinem wachsenden Bekanntheitsgrad wurden ihm immer mehr Patienten auch aus der Oberpfalz und entfernteren Gebieten überwiesen. Allerdings wurde mit der stetig steigenden Patientenzahl die Versorgungslage immer prekärer, denn die laufenden Etatmittel reichten für die Behandlung der vielen Menschen nicht aus: "[W]enn ich für das nächste Jahr nicht wenigstens 1000 Gulden Zuschuß bekomme, so muß ich zum Schaden der Universität die Zahl der Kranken beschränken. Jedermann sieht dieß ein, aber die Universität hat kein Geld."1 Mit einer durch die Regierungen von Ober- und Mittelfranken veröffentlichten Bekanntmachung im Frühjahr 1860 versuchte Thiersch dann, durch eine Festlegung der Behandlungs- und Verpflegungssätze die Aufnahme für die Patienten grundsätzlich zu regeln: "Steinkranke und Starblinde haben am meisten Aussicht auf Nachlaß der Kurkosten."2 Eine vergünstige Behandlung war jetzt nur gegen Vorlage eines amtlichen Armutszeugnisses möglich. Die größte Chance auf eine Kostenreduktion hatten neben den nieren- und augenkranken Patienten Kranke mit frischen und alten Verrenkungen.

Hier irrt Virchow - wissenschaftliche Erkenntnisse in der Histologie

Trotz seiner ausgedehnten chirurgischen Tätigkeit fand Thiersch Zeit für seine bahnbrechenden wissenschaftlichen Forschungen, vor allem zum Epithelkrebs der Haut. Mit seiner 1865 erschienenen Schrift "Der Epithelialkrebs, namentlich der Haut" widerlegte er die vorherrschende Krebslehre Rudolf Virchows, der vom Bindegewebe als Ursprungsort der Ursprungszellen des Hautkrebses ausgegangen war. Zur raschen Akzeptanz der neuen von Thiersch formulierten Lehrmeinung trug besonders der berühmte Professor der Chirurgie, Theodor Billroth (1829 - 1894). Schon ein Jahr nach Erscheinen der Thierschen Veröffentlichung übernahm er dessen von Virchow abweichenden Standpunkt: "Gegen diese jetzt ziemlich allgemeine Auffassung hat THIERSCH [Hervorhebung im Original] in einer so ausgezeichneten Arbeit so gewichtige Gründe erhoben, dass ich ihm durchaus zustimmen muss."3

"Ueber Lehren und Lernen" - Thiersch als Lehrer und Prorektor

Als Thiersch 1861 Prorektor der Erlanger Universität wurde, widmete er sich mit dem von ihm gewählten Thema seiner Antrittsrede "Ueber Lehren und Lernen"4 den zwei zentralen Aspekten des Unterrichts. So sah er in einer "höheren Entwicklung des Denkvermögens" den größten Gewinn einer höheren Schulbildung. Für den wissenschaftlichen Unterricht forderte er, das Denken in kausalen Zusammenhängen zu fördern. Aufgabe der Hochschule seien sowohl die Überlieferung des vorhandenen Wissens als auch die Generierung neuer Erkenntnisse. Gelänge dies einer Hochschule nicht, "hört sie auf der fortschreitenden Entwicklung des menschlichen Geistes voranzuleuchten"5. Offensichtlich konnten die Studenten seiner Ansicht folgen, denn Thiersch, der täglich Vorlesungen hielt, genoss als Lehrer einen ausgezeichneten Ruf. 1867 folgte Thiersch, wohl auf Anraten seines Schwiegervaters, Justus von Liebig, dem Ruf nach Leipzig und verhalf der dortigen Chirurgischen Universitätsklinik zu Weltruf.

Erlangen konnte Thiersch also nicht halten: Zu reizvoll war das in Aussicht gestellte Arbeitsfeld als akademischer Lehrer und praktizierender Chirurg an der großen sächsischen Universität, zu attraktiv wohl auch die finanzielle Ausstattung. In Erlangen erinnert heute noch die Carl-Thiersch-Straße an den weltweit geachteten und mit zahlreichen Ehrungen, Preisen und Ordensauszeichnungen versehenen Chirurgen. Im universitären Gedenken ist Thiersch vor allem durch den Thiersch-Preis verankert, der seit 1968 von der Medizinische Fakultät der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg für die prägnanteste Habilitation des Jahres vergeben wird.

[1] Thiersch in einem Brief an seine Mutter 1857, zitiert nach "200 Jahre Universitätsklinikum Erlangen 1815 - 2015". Hg. Karl-Heinz Leven/Andreas Plöger. Böhlau: Köln/Weimar/Wien 2016, S. 96.

[2] Bekanntmachung der Chirurgischen Klinik vom 6. März 1860, zitiert nach 200 Jahre Universitätsklinikum Erlangen 1815 - 2015. Hg. Karl-Heinz Leven/Andreas Plöger. Böhlau: Köln/Weimar/Wien 2016, S. 94.

[3] Zitiert nach Hesse, Beatrice: Lebenssituation und wissenschaftliches Werk von Carl Thiersch, Diss. Med. Leipzig, 1998, S. 33.

[4] Thiersch, Carl: Ueber Lehren und Lernen. Rede beim Antritte des Prorektorates der Königlich Bayerischen Friedrich-Alexanders-Universität Erlangen am 4. November 1861. Erlangen 1861.

[5] Zitiert nach Hesse (Anm. 3), S. 38.

Quelle: 200 Jahre Universitätsklinikum Erlangen 1815 - 2015. Hg. Karl-Heinz Leven/Andreas Plöger. Böhlau: Köln/Weimar/Wien 2016, S. 93 ff.