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"Waffenscheine beantragt" - Gipfel des Streites zwischen Gerd Hegemann und Karl-Heinz (Julius) Hackethal 1963/64

Gerd Hegemann, Bildquelle: Chirurgische Klinik
Gerd Hegemann, Bildquelle: Chirurgische Klinik

Der "Erlanger Professorenstreit" zwischen Gerd Hegemann, Direktor der Erlanger Chirurgie, und seinem Oberarzt, Karl-Heinz (später Julius) Hackethal, löste einen bis dahin nie dagewesenen Medienhype um das Uni-Klinikum Erlangen aus. Der Streit um vermeintliche Kunstfehler Hegemanns eskalierte, am Ende beantragten beide Professoren Waffenscheine.

Erlanger Professorenstreit

Die kollegiale Beziehung zwischen den beiden Chirurgen hatte zunächst vielversprechend begonnen: Hegemann wusste die Forschungsarbeit und praktische Tätigkeit des begabten Chirurgen Hackethal, den er 1956 nach Erlangen geholt hatte, zu schätzen.[1] 1962 befürwortete er daher seine Ernennung zum ordentlichen Professor. Als Hegemann im November 1963 allerdings einen anderen Kollegen zum neuen leitenden Oberarzt ernannte, verschlechterte sich das Verhältnis dramatisch. Hackethal fühlte sich übergangen. Er beschuldigte Hegemann, gravierende Kunstfehler begangen zu haben. Außerdem habe dieser Operationen ohne Einverständnis der Patienten durchgeführt. Hackethal erhob diese schweren Anschuldigungen nicht nur hochschulintern, sondern ging mit seinen Vorwürfen massiv an die Öffentlichkeit. Die Presse zeigte größtes Interesse an dem "Krieg an der Erlanger Uni" und wenig Zurückhaltung. Wenige Monate später war der medial angeheizte Streit so eskaliert, dass nahezu alle maßgeblichen Instanzen der Erlanger Universität, der zuständigen Ministerialbehörden in München sowie die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth involviert waren. Darüber hinaus untersuchten externe medizinische Fachleute die fraglichen Fälle. Aufgeschreckt war man allerdings auch in der bayrischen Landeshauptstadt: Der Rektor der Erlanger Universität stand dem zuständigen Minister in München gegenüber in ständiger Berichtspflicht.

"Krieg an der Erlanger Uni"

Hackethal instrumentalisierte nicht nur erfolgreich die Presse, sondern mobilisierte auch Studierende, Mitarbeiter und Patienten vor Ort. Da er inzwischen innerhalb der Fakultät Lehrverbot hatte, hielt er für Medizinstudenten 1964 eine "Vortragsreihe für Chirurgie" in Gaststätten ab. Seine Doktoranden sollten mit ihren Arbeiten die vermeintlichen Kunstfehler Hegemanns statistisch beweisen, die Klinikmitarbeiter offen gegen Hegemann opponieren. Als sich die Assistenten Hegemanns weigerten, in der geforderten Weise gegen ihren Chef Stellung zu beziehen, bezichtigte Hackethal sie öffentlich des NS-Untertanengeistes. Auch die Boulevardpresse sprach zeitweilig von "Kadavergehorsam" an der Erlanger Universität und plädierte für " Männerstolz vor Königsthronen". Die zum Teil reißerische Berichterstattung über den "Krieg an der Erlanger Uni" oder über "Kranke in Angst" führte zu einer erheblichen Verunsicherung unter potenziellen Patienten der Klinik.

Strafanzeige gestellt und Waffenbeschein beantragt

Ende 1963 und Anfang 1964 beantragte Hackethal beim Oberstadtdirektor einen Waffenschein. Aufgrund eines erneuten Interviews, das er mit der Bild-Zeitung geführt habe, müsse er nun fürchten, von Hegemann angegriffen zu werden. Auch Hegemann wurde mit der Bitte vorstellig, sich bewaffnen zu dürfen. Damit hatte die Presse einen neuen Aufmacher: "Wollen sich die Herren Professoren jetzt duellieren?", lautete die Schlagzeile des Nürnberger "8-Uhr-Blatt" am 21. Januar 1964. Hackethals Angriffe gegen Hegemann gipfelten dann im Februar 1964 in seiner Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth. Sein Vorwurf lautete auf "Mord" und "Menschenversuche".

Ein plötzliches Ende mit Nachspiel

Im Gegensatz zu Hackethal hatte sich Hegemann der Presse gegenüber stets zurückgehalten. Den Begriff "Professorenstreit" wies er als journalistische Verzerrung zurück, da er eine Beteiligung seinerseits impliziere, de facto aber sämtliche Aktivitäten diesbezüglich allein von Hackethal ausgingen. Überzeugt von der Haltlosigkeit aller gegen ihn erhobenen Vorwürfe lehnte Hegemann Vorschläge zu Kompromissen im Sinne einer gütlichen Einigung strikt ab. Tatsächlich wurden alle vorgebrachten Anschuldigungen widerlegt. Sämtliche Vorwürfe erwiesen sich nach Abschluss der Untersuchungen als haltlos. Das Ermittlungsverfahren wurde eingestellt. Der Skandal endete abrupt. Noch im Monat der Anzeigenerstattung, im Februar 1964, kündigte Hackethal per Telegramm an das Ministerium. Das damit hinfällige Dienststrafverfahren wurde daraufhin eingestellt. Im Juni widerrief er schriftlich sämtliche Vorwürfe und verzichtete freiwillig auf seine Lehrbefugnis. Daraufhin wurde ihm erlaubt, auch ohne Lehrbefugnis den Titel "Professor" weiterzuführen.

Der 1964 offiziell für beendet erklärte Streit hat rund einen laufenden Meter Akten im Erlanger Universitätsarchiv hinterlassen. Außerdem widmete Hackethal einen großen Teil seiner Autobiografie der Schilderung seines Kampfes gegen die "Heldenchirurgie".[2] Als Hackethal 1986 im Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" verkündete, er habe das Krebsproblem gelöst, wurde an der Erlanger Medizinischen Fakultät kurzfristig erwogen, ihm den Titel zu entziehen.

Der Chefchirurg Gerd Hegemann

Gerd Hegemann (1912 - 1999) verschaffte der Erlanger Chirurgie hingegen eine bundesweite Spitzenstellung in der Fachdisziplin. Hegemann, Klinikdirektor von 1955 bis 1977, vertrat eine transdisziplinär ausgerichtete Chirurgie, die auch internistische Handlungsfelder in den Blick nahm. Außerdem unterstützte er die Verselbstständigung derjenigen Fächer, die - wie die Anästhesiologie oder die Urologie - zuvor als Hilfs- oder Teildisziplinen der Chirurgie gegolten hatten. Angeregt durch Besuche in US-Kliniken in den frühen 1960er-Jahren eröffnete Hegemann 1969 in der Erlanger Chirurgischen Klinik die Abteilung für Klinische Pathologie, eine im deutschsprachigen Raum einmalige Einrichtung. Durch die räumliche Nähe konnte die intraoperative histologische Diagnose (Schnellschnittdiagnose) jetzt in kürzester Zeit erfolgen. Hegemann war auch Vorreiter der Bypass-Chirurgie in Deutschland und trug mit seinem Aufbau einer speziellen Herzchirurgie maßgeblichen zur Entwicklung der Erlanger Chirurgie zu einem der führenden Chirurgie-Zentren Europas bei. Seine wissenschaftliche Tätigkeit umfasste die gesamte Fachdisziplin. Mit seinen zwei Bänden "Allgemeine Operationslehre" schuf Hegemann schon 1958 ein Grundlagenwerk der Chirurgie. 1984 wurde Hegemann, einer der führendsten Chirurgen seiner Zeit, für sein Lebenswerk mit einem Symposion geehrt.[3]

... und sein Oberarzt Karl-Heinz (Julius) Hackethal

Seit Ende der 1970er-Jahre trat Hackethal zunehmend als Alternativmediziner und vehementer Kritiker der Schulmedizin in Erscheinung.[4] Er beklagte die fehlende Transparenz im Umgang mit chirurgischen Kunstfehlern und stellte den Nutzen der Krebsvorsorge radikal infrage. Mit seinen Polemiken gegen die "Rabiat-Strategien" der Krebsbehandlung wurde er für viele Standeskollegen zum "Nestbeschmutzer". Vor allem sein umstrittenes Eintreten für die aktive Sterbehilfe in den 1980er-Jahren erregte bundesweit Aufsehen. Auf Wunsch der unheilbar an Krebs erkrankten Hermy E. stellte Hackethal, damals Chef der Eubios-Klinik am Chiemsee und Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben, seiner Patientin im April 1984 das tödliche Gift Zyankali bereit.[5]


[1] Die von Hackethal entwickelte sogenannte „Bündelnagelung“ wurde als innovative Methode, Knochenbrüche intraoperativ zu stabilisieren, geschätzt. Vgl. Hackethal, Julius: Die Bündel-Nagelung. Berlin 1961.

[2] Hackethal, Julius: Der Wahn, der mich beglückt. Karriere und Ketzerei eines Arztes. Lübbe, Bergisch Gladbach 1995.

[3] Gall, Franz P./Angermann, Bernd: Aktuelle Chirurgie. Indikationen gestern und heute; Symposium zu Ehren von Prof. G. Hegemann anläßlich seines 70. Geburtstages, Erlangen, 16. Okt. 1982. München 1984.

[4] Hackethal, Julius: Keine Angst vor Krebs. Kronzeuge Prostata-Krebs gegen die schulmedizinische Rabiat-Strategie bei Krebs; eine wissenschaftliche Studie für Patienten mit einem Programm für behutsame und fürsorgliche Krebshilfe. Frankfurt/Main, Berlin 1987.

[5] Humanes Sterben. Mitleidstötung als Patientenrecht und Arztpflicht; wissenschaftliche Untersuchungen, Erfahrungen und Gedanken eines chirurgischen Patientenarztes. München, Herbig, 1988. Am 10.12.2015 trat "Das Gesetz zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung" in Kraft.

Literatur: 200 Jahre Universitätsklinikum Erlangen 1815 - 2015. Hg. Karl-Heinz Leven/Andreas Plöger. Böhlau: Köln/Weimar/Wien 2016, S. 328-332.