Zum Inhalt springen

Adolf von Strümpell – Alkohol schadet

Adolf von Strümpell , Porträtsammlung der Universitätsbibliothek Erlangen-Nürnberg
Adolf von Strümpell , Porträtsammlung der Universitätsbibliothek Erlangen-Nürnberg

Als Adolf von Strümpell 1886 einen Ruf auf den Lehrstuhl für Innere Medizin nach Erlangen erhielt, schienen ihm das kleine fränkische Erlangen und der graue Sandsteinbau der Medizinischen Klinik zunächst wenig attraktiv. Das änderte sich jedoch rasch.

Einen Ruf als Ordinarius schlägt man nicht ab

"Dummes Zeug! Einen ersten Ruf als Ordinarius und Kliniker schlägt man nicht ab!" Diesem kategorischen Diktum seiner Eltern ist es wohl letztlich zu verdanken, dass der unentschlossene von Strümpell (1853 - 1925) den Ruf nach Erlangen schließlich zum 1. Mai 1886 annahm. Strümpell hatte an der deutschsprachigen Hochschule in Dorpat (heute Tartu, Estland) und in Leipzig studiert. Die traditionsreiche Universitätsstadt beherbergte damals eine der führenden Medizinischen Fakultäten. Dort arbeitete von Strümpell nach seinem Studium als Assistent und Privatdozent. Er wusste das wissenschaftlich stimulierende Umfeld seiner Leipziger Wirkungsstätte sehr zu schätzen. Der enge Kontakt zu Wilhelm Heinrich Erb (1840 - 1921), einem der damals wichtigsten Neurologen Deutschlands, beeinflusste nicht nur die Themenschwerpunktsetzung seiner Habilitation ("Über ausgedehnte Anästhesien und ihren Einfluß auf die willkürliche Bewegung und das Bewußtsein", 1878), sondern auch seine zukünftigen Forschungsinteressen maßgeblich. Dagegen erschien von Strümpell Erlangen während seines ersten Besuchs weder "staatlich" noch "anmutig", auch die Klinik hinterließ "keinen überwältigenden Eindruck".

Mitbegründer der deutschen Neurologie

Entgegen seiner Befürchtungen boten die Behandlung der vielen chronisch Nervenkranken sowie die guten Arbeitsbedingungen an der Erlanger Medizinischen Klinik ihrem neuen Direktor ein sehr vielseitiges Arbeitsumfeld. Später sollte von Strümpell seine Erlanger Jahre sogar als die glücklichsten seines Lebens bezeichnen. Mit seinem in der Hugenottenstadt erfolgreich ausgebauten neurologischen Schwerpunk zählt von Strümpell zu den Mitbegründern der deutschen Neurologie. Während seiner Wirkungszeit entstanden viele wichtige Arbeiten zu neurologischen und neuropsychiatrischen Fragestellungen, z. B. zu Enzephalitis und Poliomyelitis sowie zur traumatischen Neurose und zu hysterischen Krankheitszuständen. 1891 gründete von Strümpell mit drei Kollegen der Inneren Medizin die "Deutsche Zeitschrift für Nervenheilkunde". Ziel und Zweck der Zeitschrift sollte es sein, innerhalb der Fachwelt die Zugehörigkeit der Nervenheilkunde zur Inneren Medizin zu betonen. Die ständige Erweiterung der Aufgabenbereiche ließ diese enge Verbindung allerdings nach Ansicht von Strümpells später nicht mehr zu. Er plädierte stattdessen jetzt für die Loslösung der Neurologie aus der Inneren Medizin und ihre Anbindung an die Psychiatrie. Diese beiden Disziplinen schienen ihm eng zusammengehörig. Die Forderung nach einer künstlichen Trennung von Neurologie und Psychiatrie verglich er daher mit dem Anliegen an einen Geigenspieler, nur auf der G-Saite und der D-Saite zu spielen, da die A-Saite und die E-Saite für einen anderen Spieler reserviert seien.  

Während des Ersten Weltkriegs äußerte sich von Strümpell auch zum damals zentralen Thema der Militärpsychiatrie, den sogenannten "Kriegsneurosen". Diese unter den Soldaten verbreiteten, vermeintlich auf gestörter Willenstätigkeit beruhenden Krankheitsbilder, wie die Unfähigkeit zu gehen oder zu sprechen, seien zwar von den Kranken nicht direkt "geplant", aber doch psychogener Natur. Sein Behandlungskonzept zur Wiederherstellung des seelischen Gleichgewichts schrieb dem Arzt die Rolle des Erziehers zu, der durch hypnotische Suggestion heilen könne. Denn, so von Strümpells Überzeugung, "was durch Vorstellung entstanden ist, kann auch durch Vorstellung wieder beseitigt werden".[1]

Den Brauereibesitzern ein Ärgernis

Auch wenn sich von Strümpell schwerpunktmäßig mit der Neurologie beschäftigte, befasste er sich daneben auch intensiv mit der Entstehung innerer Krankheiten. Sein für Studierende und Ärzte verfasstes "Lehrbuch der Speciellen Pathologie und Therapie innerer Krankheiten" erschien insgesamt in 32 Auflagen und mehreren Übersetzungen. Auf wenig Gegenliebe, zumindest bei den bayerischen Brauereibesitzern, stieß sein Vortrag zur Alkoholfrage, den er im September 1893 in Nürnberg auf der 65. Versammlung Deutscher Naturforscher hielt. In seinem Referat, das noch im selben Monat in der angesehenen Berliner Klinischen Wochenschrift veröffentlicht wurde, kritisierte er die sich immer mehr ausbreitende Sitte des andauernden Alkoholkonsums. Er warnte nachdrücklich vor den körperlichen und den seelischen Folgeschäden nicht nur für den Einzelnen, sondern für die ganze Gesellschaft. Die Fachkollegen stimmten mit ihm überein - die Liga der bayerischen Brauereibesitzer weniger. Sie war von dieser "Anti-Werbung" wenig begeistert und bekam Rückendeckung aus Regierungskreisen. Von Strümpell musste sich öffentlich vorwerfen lassen, den durch "Ruhm und Sitte geheiligten Zweig der bayerischen Industrie schädigen" zu wollen.

1903 nahm von Strümpell einen Ruf nach Breslau an. 1910 dann an die Universität Leipzig berufen, wurde er 1914 Dekan der medizinischen Fakultät und 1915/1916 Rektor. In Leipzig und Erlangen erinnert die Strümpellstraße noch heute an den Internisten, der 17 Jahre lang in Erlangen wirkte. In der medizinischen Fachwelt wurde er zum Namensgeber der sogenannten "Strümpell-Zeichen" als Hinweis auf eine vorliegende Schädigung des zentralen Nervensystems. Auf von Strümpell, der mit dem russischen Neurologen und Psychiater Wladimir Bechterew (1857 - 1927) und dem französischen Neurologen Pierre Marie (1853 - 1940) erstmals eine spezielle Wirbelsäulenerkrankung, den Morbus Bechterew beschrieb, geht auch die ältere Krankheitsbezeichnung "Bechterew-Strümpell-Marie" zurück (heute Spondylarthritis ankylosans).


[1] Die Schädigungen der Nerven und des geistigen Lebens durch den Krieg: ein Vortrag gehalten in der Wiener Urania am 4. Oktober 1917, S. 18. nbn-resolving.de/urn:nbn:de:101:1-2014011615973 aufgerufen am 11.02.2016.

Literatur:  Wittern-Sterzel, Renate: Das naturwissenschaftliche Denken erobert die Medizin. In: 200 Jahre Universitätsklinikum Erlangen 1815–2015. Hg. Karl-Heinz Leven/Andreas Plöger. Böhlau: Köln/Weimar/Wien 2016, S. 79 – 83, 140.