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"Die Stimme hören, die in den Hütten ächzt"

Friedrich von Wendt. Quelle: Universitätsbibliothek Erlangen-Nürnberg, Porträtsammlung.
Friedrich von Wendt. Universitätsbibliothek
Erlangen-Nürnberg, Porträtsammlung.

Daniel Friedrich Wendt, bis 1818 Lehrer auf der Hochfürstlichen Friedrich-Alexander-Universität, hätte heutzutage den "Preis für innovative Lehre" bekommen. Er forderte von seinen Studenten nicht nur mehr Kontakt mit den Patienten, sondern auch, aus Fehlern zu lernen und andere Meinungen sachlich und offen zu prüfen.

Medizinstudenten ohne praktische Ausbildung

Für die Versorgung und die Unterbringung von Kranken gab es in den Anfangszeiten der Erlanger Universität keine eigenen Räume. Klinischer Unterricht fand nur im Rahmen von Hausbesuchen bei zahlungsfähigen "Privatkranken" statt, zu denen die Professoren ihre fortgeschrittenen Medizinstudenten mitnahmen. Professoren und Studenten empfanden diese Ausbildungssituation als völlig unzureichend.

Wendt wusste, das Hausbesuche die angehenden Ärzte emotional belasten. Ihm war aber auch klar, dass Krankenbesuche vor "Empathieverlust", vor Gewöhnung und Abstumpfung an menschliches Leid schützen und die "Einbindung der Sinne" in die ärztliche Ausbildung verbessern. Er forderte von seinen Studenten nicht nur mehr Kontakt mit den Patienten, sondern auch aus Fehlern zu lernen und andere Meinungen sachlich und offen zu prüfen. Während Wendt heutzutage für seine Forderungen den Preis für innovative Lehre bekommen hätte, endete seine Lehrzeit in Erlangen im Streit mit einem Kollegen.

Medizinstudierende ohne praktische Ausbildung

Für die Versorgung und Unterbringung von Kranken gab es in den Anfangszeiten der Universität Erlangen keine eigenen Räume. Klinischer Unterricht für fortgeschrittene Medizinstudenten fand nur im Rahmen von Hausbesuchen bei Privatkranken statt, zu denen die Professoren ihre älteren Studenten mitnahmen. Professoren und Studenten empfanden diese Ausbildungssituation als völlig unzureichend.

Als Friedrich Wendt (1738-1818) 1778 an die Erlanger Universität berufen wurde, war er entschlossen, die bislang von Professoren und Studenten beklagte Ausbildungssituation nachhaltig zu verbessern. Er wurde rasch zum Vorkämpfer des klinischen Unterrichts am Krankenbett. Seine 1778 veröffentlichten "Vorschläge zu künftig anzustellenden practischen Übungen an seine Herren Zuhörer gerichtet" untermauerten theoretisch das, was er ein Jahr später konsequent in die Praxis umsetzte. Wendt beklagte vor allem die fehlende Einbindung der Sinne in die ärztliche Ausbildung. Der fehlende Unterricht am Krankenbett führe u. a. dazu, dass Ärzte bei der Benennung und der Bestimmung der Krankheit häufig zu sehr vielen verschiedenen, sich häufig widersprechenden Meinungen kämen. Dies wiederum veranlasse den Pöbel, "in dem Wahn zu beharren, als wäre in der Heilkunde alles ungewiß".

Den Patienten Zuhören

Die dringend erforderliche praktische Ausbildung der Ärzte erfüllte laut Wendt den wichtigen Nebenzweck, die medizinische Versorgung der armen Bevölkerungsschichten zu verbessern. Er war sich bewusst, dass die täglichen Hausbesuche die angehenden Ärzte emotional belasten würden, hätten sie doch die "Stimme zu hören, die in den Hütten ächzt", aber sie schützten auch vor Empathieverlust und Abstumpfung und bereiteten "das Vergnügen, ein nützliches, aber hilfloses Leben gerettet zu haben".

Aufgrund der großen Resonanz wurden das "Collegium clinicum" bereits 1780 als offizielles "Institutum clinicum" bestätigt und Wendt für seine Dienste öffentlich geehrt. Die Schwierigkeiten, die Wendt 1780 in Zusammenhang mit der Institutseröffnung dennoch aufzuzählen wusste, unterscheiden sich nur wenig von heutigen Problemen. Wendt klagte über die zu geringe finanzielle Ausstattung sowie den hohen Aufwand an Pflege, aber auch die mangelnde "Compliance" der Patienten, die oft zögerten, ihre Krankengeschichte vor einer Gruppe von Ärzten quasi öffentlich zu machen. Darüber hinaus schienen die Angaben der Kranken den Ärzten wenig präzise, sodass es für sie schwierig war, "aus den dunkeln, undeutlichen und verwornen Erzehlungen, welche die meisten Kranken eigen ist, das wahre zu finden und die Krankheit zu ergründen".

Zweitmeinung erwünscht

Während der täglichen "Fallbesprechungen" setzte Wendt von Anfang an auf ein ausgedehntes Mitspracherecht seiner Zuhörer. Bei Meinungsverschiedenheiten hinsichtlich der Diagnose und Therapie sollte die "Zweitmeinung" sachlich und offen geprüft, das eigene Nachdenken gefördert und nicht unterdrückt werden. Wendt schien nicht nur "flache" Hierarchien zu bevorzugen, sondern trat für einen offenen Umgang mit Fehlern ein und betonte den didaktischen Wert derjenigen Krankheitsverläufe, wo die Arzneien "ohne allen Nutzen gewesen sind". Er hielt die "gewissenhafte Anzeige der fehlgeschlagnen Kuren für den Arzt oft belehrender [...] als die Erzehlung der glücklichsten Fälle."

Die Mühsal der Hausbesuche

In der Anfangszeit betrieb Wendt zunächst eine ambulatorische Klinik in seiner Privatwohnung. 1785 richtete er in der Südlichen Stadtmauerstraße 28 einige Räume für die Krankenversorgung ein. Angesichts stetig zunehmender Aus- und Überlastung des Instituts mehrten sich allerdings die kritischen Äußerungen des anfangs so begeisterten Lehrers. So würden Patienten die Arbeit der Ärzte oft nicht genügend würdigen, obwohl diese "Jahr aus Jahr ein alles Ungemacht von Hitze und Kälte zu ertragen" hätten und ständig der Gefahr ausgesetzt seien, sich "auf den finsteren und elenden Treppen, womit wir hier reichlich versehen sind, Hals und Beine zu brechen". Auch würden sich zahlreiche wohlhabende Erlanger Herrschaften weigern, für ihre Dienerschaft im Krankheitsfall zu sorgen und sie stattdessen zur kostenlosen Behandlung in sein Institut schicken.

Doppelspitze funktioniert nicht

Ende 1816 sah sich Wendt genötigt, die Direktion des klinischen Instituts niederzulegen. Ursache war ein heftiger, von persönlichen Animositäten geprägter Streit zwischen Wendt und dem Mitdirektor Christian Friedrich Harleß. Letzterer sollte laut Königlichem Rescript von 1814 als Mitlehrer und Mitdirektor der Klinik fungieren. Da Wendt in Harleß` Augen die erzwungene Zusammenarbeit verweigerte, beschwerte sich dieser erfolgreich. Wendt wurde unmissverständlich aufgefordert, die Mitdirektion Harleß auch praktisch umzusetzen. Wendt reagierte mit einer öffentlichkeitswirksamen Amtsniederlegung, die er nicht nur dem Senat der Universität, sondern auch der allgemeinen Öffentlichkeit bekannt gab.

Als der akademische Magistrat daraufhin Harleß als alleinigen Direktor einsetzte, reagierte die Erlanger Bevölkerung prompt und verfasste eine Bittschrift mit dem Inhalt, Wendt wieder einzusetzen. Infolgedessen stellte das Königliche Ministerium des Inneren die alte Ordnung wieder her, wonach Wendt die Hauptdirektion führen und Harleß als "Gehülfe" fungieren solle. Diese Degradierung wiederum wollte Harleß nicht hinnehmen. Er trat ebenfalls öffentlichkeitswirksam und unter Protest an höchster Stelle zurück.

Wendt hatte lebenslang für die Einrichtung einer stationären Klinik gekämpft. Seine detaillierten und ambitionierten Pläne für die Errichtung eines Krankenhauses scheiterten immer wieder an strukturellen, baulichen, finanziellen und politischen Schwierigkeiten. Die Eröffnung des "stabilen und ambulanten clinicums" durch den Chirurgen Gottlob Schreger am 20. November 1815 erlebte Wendt nicht mehr.

 

 

Quelle: 200 Jahre Universitätsklinikum Erlangen 1815-2015. Hg. Karl-Heinz Leven/Andreas Plöger. Böhlau: Köln/Weimar/Wien 2016, S.28 ff.