Zum Inhalt springen

Künstliche Befruchtung

Erstes Retortenbaby Deutschlands, "Quick" vom 22.4.1982
http://www.175jahrefrauenklinik.de/ausstell/index.htm
Erstes Retortenbaby Deutschlands, "Quick" vom 22.4.1982
www.175jahrefrauenklinik.de/ausstell/index.htm

Fertility on Ice

Während mit der Verbreitung der Pille in den 1960er-Jahren das Problem der ungewollten Schwangerschaften (fast) gelöst zu sein schien, wurde die Frage nach medizinischen Behandlungsmöglichkeiten bei ungewollter Kinderlosigkeit immer drängender. Die Frauenklinik des Uni-Klinikums Erlangen ist seit Jahrzehnten eines der bundesweit führenden Zentren der modernen Reproduktionsmedizin.

Funktionslust der medizinischen Techniker?

Bereits Mitte der 1960er-Jahre waren in Erlangen Tierversuche zur künstlichen Befruchtung durchgeführt und Kontakte zu Tierärztlichen Hochschulen und der Landesbesamungsanstalt in Neustadt/Aisch aufgenommen worden. 1978 formierte sich um den Frauenarzt und Reproduktionsmediziner Prof. Siegfried Trotnow (1941 - 2004) eine erfolgreiche Gruppe von Ärzten, Tierärzten und Laborassistentinnen, zu der auch die Biologin Tatjana Kniewald gehörte. Am 16. April 1982 kam in Erlangen das weltweit sechste und deutschlandweit erste Baby zur Welt, das aus einer In-vitro-Fertilisation (IVF) hervorgegangen war. Unter der Überschrift "Das ist es" zierte der 4.150 g schwere Knabe das Titelbild einer Illustrierten, die die Exklusivrechte der Story erworben hatte.

Die von der Medizin und einem Großteil der Presse gefeierten Erfolge der Reproduktionsmedizin riefen allerdings auch die Kritiker auf den Plan. In Erlangen sei die Lust der Zeugung nun durch die Funktionslust der medizinischen Techniker ersetzt worden, so der Philosoph Robert Spaemann im November 1982 in der Süddeutschen Zeitung. Während die Medizin derartige philosophische Bedenken ignorieren konnte, sieht sie sich mit der Tatsache konfrontiert, dass die Methode der Eizellengewinnung immer noch aufwendig und risikobehaftet ist und für viele Frauen eine psychische und gesundheitliche Belastung darstellt.

"Das Kind, das aus der Kälte kam"

Die in der Tierzucht praktizierte Methode, Eizellen auf Vorrat zu gewinnen und in flüssigem Stickstoff zu lagern (Kryokonservierung), ist für die medizinische Anwendung am Menschen wenig geeignet. Erst mit der vom Erlanger IVF-Team zusammen mit Ingenieuren vom Lehrstuhl für Regelungstechnik der FAU Erlangen-Nürnberg entwickelten speziellen "Kryokonservierung im offenen System mit automatischer Auslösung des Kristallisationsprozesses" gelangen wichtige Detailverbesserungen: Nun war es möglich, die Temperaturschwankungen im Eizellbehälter zu minimieren und den Gefriervorgang der Eizellen schonend und präzise genug zu steuern. So konnte das reproduktionsmedizinische Team der Frauenklinik zwei weitere Deutschlandpremieren feiern: 1986 kam das erste "Tiefkühlbaby" aus einem tiefgefrorenen Embryo zur Welt und ein Jahr später wurde das erste Baby aus einer tiefgefrorenen Eizelle geboren. "Das Kind, das aus der Kälte kam" rief wiederum die Skeptiker auf den Plan.

Kinderwunsch trotz Krebs

Inzwischen gilt die IVF in Erlangen als medizinische Standardtherapie. Im Fokus aktueller Bemühungen steht der Versuch, jüngeren Patientinnen mit Krebserkrankungen die Erfüllung ihres Kinderwunsches zu ermöglichen, trotz notwendiger Chemo- und/oder Strahlentherapie. Die Erlanger Frauenklinik ist daher Mitglied des Netzwerkes FertiProtekt, das Patienten vor und nach einer Chemo- und/oder Strahlentherapie hinsichtlich möglicher fertilitätsprotektiver Methoden berät. Im Universitäts-Fortpflanzungszentrum Franken wurden Möglichkeiten des Einfrierens von Eierstockgeweben zur Wiederherstellung der Fruchtbarkeit nach Krebsbehandlungen erforscht und seit 2008 in mehreren Fällen erfolgreich angewandt.

Quelle: 200 Jahre Universitätsklinikum Erlangen 1815–2015. Hg. Karl-Heinz Leven/Andreas Plöger. Böhlau: Köln/Weimar/Wien 2016, S. 406ff.