Zum Inhalt springen

Friedrich Jamin

Friedrich Jamin, Universitätsbibliothek Erlangen-Nürnberg
Friedrich Jamin, Universitätsbibliothek Erlangen-Nürnberg

Friedrich Jamin war nahezu ein halbes Jahrhundert lang als Polikliniker und Pädiater tätig. Als solcher forderte er vehement die Verselbstständigung der Pädiatrie gegenüber der Inneren Medizin. Sein Engagement für seine Patienten brachte dem habilitierten Internisten und Ordinarius für Kinderheilkunde den Ruf des beliebten "Armeleutedoktors" ein.

"Keine Universitätskinderklinik in Deutschland hat den gleichen dürftigen Personalstand"

Friedrich Wilhelm Jamin (1872 - 1951) studierte Medizin in Erlangen, Berlin, Freiburg, Heidelberg und Würzburg. 1900, vier Jahre nach seiner Promotion, trat er eine Assistentenstelle in der Medizinischen Klinik an. 1904 bei Franz Penzoldt (1849 - 1927) für Innere Medizin habilitiert, wurde er 1906 zunächst Oberarzt an der Poliklinik und Extraordinarius für Klinische Propädeutik und Geschichte der Medizin. Ein Jahr später erhielt er die Professur für Medizinische Poliklinik, Pharmakologie und Kinderheilkunde.

Während seiner gesamten Amtszeit setzte sich Jamin immer wieder für die dringend notwendige Verbesserung der beengten Raumsituation sowie der harten Arbeitsbedingungen in der Klinik ein. Als nach Ende des Ersten Weltkrieges 1919 die leitende Schwester der Kinderklinik abberufen werden sollte, fürchtete Jamin um die Qualität der Patientenversorgung und protestierte heftig gegen den geplanten Personalwechsel. Während der kriegsbedingten Abwesenheit der leitenden Ärzte sei die Schwester "der gute Geist" der Klinik gewesen. In der schwierigen Nachkriegszeit wäre eine solche Neubesetzung weder für die Pflege noch die Verwaltung zu verkraften und bedeute darüber hinaus eine schwere Rufschädigung für die Kinderklinik. Die Schwester stelle nicht nur den Kontakt zu den Angehörigen der jetzigen kindlichen Patienten sicher, sondern verwahre einen "wertvollen und unersetzlichen Erinnerungsschatz" über das frühere "Krankenmaterial".[1]

Auch bei anderen Anlässen sah sich Jamin gezwungen, auf die schlechte räumliche und personelle Ausstattung der Kinderklinik sowie die dadurch bedingte völlige Arbeitsüberlastung hinzuweisen. Als in den 1930er-Jahren der Unterricht von Hebammenschülerinnen in Ernährungslehre in den Räumen der Kinderklinik abgehalten werden sollte, lehnte Jamin das Vorhaben ab, da sich schon jetzt viele Tätigkeiten und Verrichtungen in allzu engen, zum Teil winzigen Räumen der Klinik abspielen müssten. Dem Plan von 1938, die staatliche Anerkennung der Kinderklinik als Säuglings- und Kleinkinderpflegeschule zu forcieren, stand Jamin grundsätzlich positiv gegenüber, da sich die Klinik den Bestrebungen, die Gesundheitsverhältnisse für Mutter und Kind zu verbessern, nicht länger entziehen könne. Mit Blick auf die mangelhafte Ausstattung der Klinik äußerte er allerdings dem Universitätsrektor gegenüber massive Bedenken. Das Vorhaben sei zwar ganz im Sinne der NS-Volkswohlfahrt und ein "Gebot der Stunde", Voraussetzung für die wünschenswerte Einrichtung einer Schwesternschule sei allerdings eine durchgreifende Verbesserung der Bedingungen in der Klinik: "Keine Universitätskinderklinik in Deutschland hat den gleichen dürftigen Personalstand", so Jamin.[2]

Der "Armeleutedoktor"

Jamin äußerte sich mehrfach in Vorträgen, aber auch schriftlich zu Fragen der ärztlichen Aufgabenstellung und der ärztlichen Ethik. Dabei stellte er das Patientenwohl in den Vordergrund und wies auf den Zusammenhang von Krankheitsentstehung und sozialer Lage der Patienten hin. Schon in seiner Erlanger Antrittsvorlesung 1907 hatte er das Problem der hohen Säuglingssterblichkeit zum durchaus brisanten Thema gemacht und vor mangelhaften hygienischen Verhältnissen gewarnt. Als Direktor der Medizinischen Poliklinik war Jamin auch Leiter der städtischen Fürsorgestelle für Tuberkulosekranke und betreute in dieser Funktion zahlreiche Dissertationen zur Tuberkulose, von denen sich einige sehr kritisch über die teils katastrophalen Erlanger Wohnverhältnisse als begünstigende Faktoren der Krankheit äußerten. Warum Jamin "Armeleutedoktor" genannt wurde, mag folgender Briefauszug vom 20.04.1937 über "Das Kassenärztliche" verdeutlichen: "Das Schwierigste, man darf von den sittlichen Grundsätzen nicht abgehen und muss dabei mehr auf die Kranken als auf den eigenen Laden schauen - das ist nicht wegen des Einkommens so, sondern wegen des eigenen Gewissensfriedens, und es ist schließlich überall so, daß ein wirklich ordentlicher und anständiger Mensch zunächst vielleicht hinter den mit einem recht weiten Gewissen Begabten zurückbliebt, aber auf die Dauer ist und bleibt er der Sieger."[3]

"Mit Herz und Verstand das Wollen des Führers verstanden"

In der NS-Zeit stand Jamin den "völkischen" Ideen nahe und äußerte sich in gesundheitspolitischen Zusammenhängen im Sinne der neuen Machthaber. So lobte er die Absicht der "völkischen Heilkunde", einen "neuen deutschen Menschen" in die Gemeinschaft des neuen "deutschen Volkskörpers" zu stellen [4] und begrüßte die Zentralisierung der Tuberkulosebekämpfung durch das neu geschaffene Amt für Volkswohlfahrt, Gau Franken. Damit begänne in Erlangen eine neue Entwicklung im Kampf gegen eine bedrohliche Volksseuche, zu deren Erfolg er nach Kräften und Möglichkeiten beitragen wolle. Jamin setzte sich auch entschieden für die rasche und vollständige Etablierung der NS-Schwestern an den Kliniken ein. Unter seiner Leitung war die Kinderklinik die erste Klinik deutschlandweit, die nach politisch erzwungenem Abzug der konfessionellen Schwestern im Frühjahr 1934 ausschließlich mit den auf die NS-Gesundheitspolitik eingeschworenen Schwestern der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt (NSV) arbeitete. Der Gaudozentenführer Hans Albrecht Molitoris (1905 - 1988) lobte Jamin 1939 als nationalsozialistischen Kämpfer, der "mit Herz und Verstand das Wollen des Führers" verstanden habe. Die aktuelle Forschung hält diese Zuschreibung für überzogen, allerdings ist Jamin keineswegs als Kritiker einzustufen. Auch die Verleihung des Titels "Ehrensenator der Universität Erlangen" im Jahr 1943 wird als Hinweis darauf gewertet, dass er als (passive) Stütze der nationalsozialistischen Universität galt.[5]  

In seiner zweiten Amtszeit als Dekan der Medizinischen Fakultät (1911/12; 1918/19; 1933/34 - 1937) befürwortete er 1933 die Aberkennung der Doktorwürde bei Reichsangehörigen, die sich im Ausland durch "feindselige" Propaganda oder Herabsetzung der nationalen Regierung gegen die Treuepflicht gegenüber Reich und Volk verstoßen hatten. Da für den Bayerischen Minister für Unterricht und Kultus kein Zweifel bestand, dass diese Personengruppe nicht länger würdig sei, den Doktortitel zu führen, regte er gegenüber den bayerischen Hochschulleitungen an, die Promotionsordnungen entsprechend zu ändern. In Erlangen reagierte man rasch. Nur vier Wochen nach Erscheinen des entsprechenden Ministerialbeschlusses waren hier die Promotionsordnungen für die Zahn- und die Humanmedizin geändert.[6] Im Zuge der gegen politische Gegner und jüdische Wissenschaftler gerichteten Depromotionen wurden an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen insgesamt über 160 rechtmäßig erworbene Doktortitel wieder entzogen.

Fast ein halbes Jahrhundert lang im Dienst der Kliniken

Während seine drei Amtsvorgänger die 1905 eröffnete Kinderklinik nur über kurze Zeit leiteten bzw. die Stelle gar nicht erst angetreten hatten, blieb Jamin über seine Emeritierung hinaus tätig - insgesamt nahezu ein halbes Jahrhundert lang. Im Laufe seiner langen Amtszeit wurde die Kinderklinik durch den Anbau sowohl eines Isoliergebäudes als auch einer Veranda mehrfach erweitert. Nach seiner Emeritierung 1938 vertrat Jamin noch ein Jahr lang den pädiatrischen Lehrstuhl bis zur Amtsübernahme durch seinen Nachfolger. Erst jetzt wurde in Erlangen - als letzte der älteren Universitäten - ein eigener Lehrstuhl ausschließlich für Kinderheilkunde eingerichtet und mit Albert Viethen (1897 - 1978) besetzt. Die Medizinische Poliklinik leitete Jamin kommissarisch sogar noch bis 1942. Nach der Entlassung der beiden Direktoren der Kinderklinik und der Medizinischen Klinik durch die US-amerikanischen Behörden im April bzw. Mai 1945 stand der inzwischen über 70-Jährige Jamin noch einmal für ein Jahr interimistisch beiden Kliniken vor. Im Stadtbild erinnert die 1952 nach ihm benannte Jaminstraße an den außerordentlich vielseitigen Wissenschaftler und überzeugten Kinderarzt.


[1] Zentralarchiv der Diakonissenanstalt Neuendettelsau, Acta der Diakonissenanstalt Neuendettelsau Erlangen Kinderklinik II 1913 – 1931, Blatt 59.

[2] Universitätsarchiv Erlangen-Nürnberg C3/1 Nr. 420. Errichtung einer Schwesternschule 1938 – 1951, Jamin am 31. Oktober 1938 an den Rektor.

[3] Zitiert nach Friedrich Jamin. Briefe und Betrachtungen eines Arztes. Gesammelt und herausgegeben von Schülern und Freunden. Erlangen 1986, S. 164.

[4] Jamin, Friedrich: Wissenschaft und Kunst in der Deutschen Heilkunde. Vortrag gehalten bei einer geselligen Zusammenkunft der Universität Erlangen am 6. Januar 1939. Erlangen 1939.

 [5] Zapf; Manuela: Friedrich Jamin (1872 – 1951) – Leben und Werk. In: Rascher, Wolfgang/Wittern-Sterzel, Renate (Hg.): Geschichte der Universitäts-Kinderklinik Erlangen. Göttingen 2005; S. 43-124.

[6] Wittern-Sterzel, Renate/Frewer , Andreas: Aberkennungen der Doktorwürde im „Dritten Reich“. Depromotionen an der Medizinischen Fakultät der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen. Erlangen 2008, S. 22.

Literatur

200 Jahre Universitätsklinikum Erlangen 1815 - 2015. Hg. Karl-Heinz Leven/Andreas Plöger. Böhlau: Köln/Weimar/Wien 2016, S. 129 ff., 264 ff., 420 ff.

Rascher, Wolfgang/Wittern-Sterzel, Renate (Hg.): Geschichte der Universitäts-Kinderklinik Erlangen. Göttingen 2005.

Zapf, Manuela: Friedrich Jamins (1872 - 1951) Leben und Werk unter besonderer Berücksichtigung seiner Bedeutung für die Neurologie und Pädiatrie Erlangens in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Diss. med. Erlangen-Nürnberg 2003.