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Friedrich Meggendorfer – Verfechter der erbbiologisch orientierten Psychiatrie

Friedrich Meggendorfer, Universitätsarchiv Erlangen-Nürnberg
Friedrich Meggendorfer, Universitätsarchiv Erlangen-Nürnberg

Der Professor für Psychiatrie Friedrich Meggendorfer (1880 - 1953) war schon in den 1920er-Jahren überzeugter Anhänger einer rassenhygienischen Gesundheitspolitik und erbbiologisch orientierter Psychiatrie. Die Erlanger Psychiatrische Universitätsklinik machte ihn 1934 zu ihrem Direktor.

"volles Verständnis für das biologische Programm der Regierung"

Friedrich Meggendorfer studierte Medizin in München und Berlin und wurde nach seiner Promotion im Jahr 1910 bei Emil Kraeplin (1856 - 1926) dessen Assistent. In München lernte Mggendorfer auch Ernst Rüdin (1874 - 1952) kennen, der später zum einflussreichsten Psychiater aufsteigen und Meggendorfers Berufung nach Erlangen entscheidend fördern sollte. Nach mehreren Auslandseinsätzen im Ersten Weltkrieg setzte der ehemalige Marineassistenzarzt der Kaiserlichen Marine seine wissenschaftliche Karriere zunächst als Oberarzt an der Staatskrankenanstalt Friedrichberg fort. 1934 wurde der 1921 in Hamburg habilitierte Meggendorfer Ordinarius für Psychiatrie und Direktor der "Psychiatrischen und Nervenklinik" der Universität Erlangen". Hier wurde jemand gesucht, der "volles Verständnis für das biologische Programm der Regierung hat und auch dem akademischen Nachwuchs Gelegenheit geben wird, sich für die psychiatrischen Aufgaben im neuen Staat mit den erforderlichen gediegenen Kenntnissen auszurüsten".[1]
Mit der Übernahme des Direktorats der "Psychiatrischen und Nervenklinik" verfolgte Meggendorfer ehrgeizige Pläne. Statt die Patienten lediglich zu "verwahren", sollten sie nach modernen Methoden behandelt und als "geheilt" oder zumindest "gebessert" entlassen werden. Auch die in Zusammenarbeit mit den Erlanger Siemens-Reiniger-Werken entwickelte und von Meggendorfer und seinem Oberarzt Adolf Bingel an Patienten der Klinik getestete Elektrokrampftherapie nutzte man als Fortschrittsnachweis der modernen Psychiatrie.

Forschungsresultate in die NS-Gesundheitspolitik umsetzen

Meggendorfer, seit 1. Mai 1933 Mitglied der NSDAP, war stets bemüht, seine Forschungsergebnisse, z. B. zu der vermeintlichen Vererbbarkeit von Alkoholismus und zum angeblichen Zusammenhang von "moralischer Minderwertigkeit, Verbrechen und Psychose" in die konkrete Gesundheitspolitik einfließen zu lassen. So übernahm die Rechtsprechung seine Forderung, Ehen dann scheiden lassen zu können, wenn beim Partner "minderwertige Erbanlagen" vorhanden seien. Dem rassenhygienischen "Reformprogramm" derartig zugetan, war Meggendorfer nicht nur überzeugter Anhänger des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses (GzVeN), sondern auch Mitautor eines wichtigen Referenz- und Standardwerks für alle an den Zwangssterilisationen Beteiligten und zudem Beisitzer am Erbgesundheitsobergericht Bamberg. Zu den Indikationen für die Zwangssterilisationen gehörte laut GzVeN auch der "schwere Alkoholismus". Meggendorfer, der sich intensiv mit Fragen des Alkoholismus beschäftigte hatte, vertrat in diesem Zusammenhang die Forderung, vor allem die "asozialen" Alkoholiker zu sterilisieren, da sie zu Verbrechen, zur Verwahrlosung oder zur Prostitution neigten. Während Meggendorfer als Wissenschaftler somit für eine sehr großzügige Auslegung des GzVeN plädierte, scheint er als Klinikdirektor nur diejenigen seiner Patienten zur Sterilisation angezeigt zu haben, die aufgrund der gestellten Diagnosen "eindeutig" unter die im GzVeN vorgesehene Meldepflicht fielen.

Hoffnung auf eigene Klinik durch "planwirtschaftliche Maßnahmen" der NS-"Euthanasie"

Im Zuge der NS-"Euthanasie" wurden ab Ende 1939 bis Kriegsende ca. 300.000 psychisch kranke und geistig sowie körperlich behinderte Menschen ermordet. Allein aus Bayern wurden ca. 20.000 psychisch kranke Menschen in Tötungsanstalten ermordet oder verhungerten in eigens eingerichteten "Hungerstationen" der Heil- und Pflegeanstalten durch die Einführung einer Hungerkost, der sogenannten "B-Kost".[2] Die Krankenmordaktionen betrafen auch Erlanger Patienten: Nach heutigem Kenntnisstand wurden zwischen 1939 und August 1941 908 Patienten aus der Erlanger Heil-und Pflegeanstalt abtransportiert und in eigens dafür eingerichteten Tötungsanstalten ermordet. Die als "planwirtschaftliche Maßnahmen" deklarierten Abtransporte setzten - bei SS und Wehrmacht hochwillkommene - Raum- und Bettenkapazitäten frei. Auch Meggendorfer nutzte die Gunst der Stunde. Da die Klinik seit ihrer Gründung im Jahr 1903 unter Direktor Gustav Specht (1860 - 1940) in unzureichenden Räumen der Heil- und Pflegeanstalt untergebracht war, bat Meggendorfer die Fakultäts- und Universitätsleitung darum, die freigewordenen Räumlichkeiten jetzt seiner Einrichtung  zu überlassen. Sein Plan ging nicht auf: Die Erlanger Heil- und Pflegeanstalt wurde im Rahmen der NS-"Euthanasie" zur "T4-Zwischenanstalt". Als solche diente sie der Aufnahme potenziell zur Tötung vorgesehener Patienten aus anderen aufgelösten Pflegeanstalten. Die Patienten wurden "auf Anordnung des Staatsministeriums des Inneren" zunächst in die Heil- und Pflegeanstalt Erlangen überführt und zumeist nach einem Aufenthalt von nur wenigen Tagen oder Wochen in die zentralen Tötungsanstalten nach Pirna Sonnenstein, Grafeneck oder Hartheim/Linz weitertransportiert. 

Patienten der Universitätspsychiatrie als Opfer der NS-"Euthanasie"

Neueste Forschungserkenntnisse belegen, dass im Kontext der NS-"Euthanasie" auch Patienten aus der "Psychiatrischen und Nervenklinik" der Universität in die Heil- und Pflegeanstalt verlegt wurden. Mindestens zwei von ihnen wurden 1941 in der Tötungsanstalt Hartheim/Niederösterreich ermordet. Sie waren erst kurz vor ihrem Abtransport nach Hartheim in die Heil- und Pflegeanstalt verlegt worden. Beide waren "unheilbare" und "störende", für die Lehre "uninteressante" und "unproduktive" Langzeitpatienten, die bei klinisch unverändertem Zustandsbild alle wesentlichen Selektionskriterien der NS-Krankenmorde erfüllten. Wie hoch die Zahl der T4-Opfer aus der Erlanger Universitätspsychiatrie tatsächlich ist und welche Rolle der Klinikdirektor Meggendorfer hierbei spielte, wird im Rahmen des Forschungsprojekts "Die NS-"Euthanasie", "Aktion T4" und Hungersterben in der Heil- und Pflegeanstalt Erlangen 1939 - 1945" zu untersuchen seien.


[1] Zitiert nach Rauh, Philipp: Medizinverbrechen in Erlangen. In: 200 Jahre Universitätsklinikum Erlangen 1815–2015. Hg. Karl-Heinz Leven/Andreas Plöger. Böhlau: Köln/Weimar/Wien 2016, S. 269.

[2] Psychiatrie im Nationalsozialismus. Die Bayerischen Heil- und Pflegeanstalten zwischen 1933 und 1945. Hrsg. v. Cranach, Michael / Siemen, Hans-Ludwig. München 2012.

Literatur: Rauh, Philipp: Medizinverbrechen in Erlangen. In: 200 Jahre Universitätsklinikum Erlangen 1815 – 2015. Hg. Karl-Heinz Leven/Andreas Plöger. Böhlau: Köln/Weimar/Wien 2016, S. 262 – 293.