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Clinicum Chirurgicum

Gebäude des früheren "Clinicum Chirurgicum", Wasserturmstraße 14. Aquarell (fotografische Reproduktion aus Privatbesitz, Kriegsverlust), um 1840. Nachweis: Sammlung Bücking, Erlangen
Gebäude des früheren "Clinicum Chirurgicum", Wasserturmstraße 14.
Aquarell (fotografische Reproduktion aus Privatbesitz, Kriegsverlust), um 1840.
Nachweis: Sammlung Bücking, Erlangen

"freie Medizin, freien ärztlichen Besuch und Verband" - Vor 200 Jahren wurden im Clinicum Chirurgicum die ersten Patienten operiert

Beeindruckende Erfolge ohne Narkose und mit wenig Hygiene

Der Anfang des Universitätsklinikums Erlangen lag in sieben Zimmern! Am 20. November 1815 eröffnete in der Wasserturmstraße 14 das Clinicum Chirurgicum. In dem ehemals markgräflichen Haus boten drei Zimmer Platz für die Aufnahme von acht Patienten, weitere vier Zimmer dienten als Funktions- und Versorgungsräume für die ambulante und stationäre Versorgung der Erkrankten. Der Direktor, Hofrat Bernhard Nathanael Gottlob Schreger (1766 - 1825) ließ die Erlanger Bürger im führenden Erlanger Intelligenzblatt wissen, dass die Aufnahme und Behandlung in der Klinik für die Patienten kostenlos sei. Offensichtlich nutzten viele Patienten diese Chance. Allein von November 1815 bis Dezember 1816 wurden insgesamt 269 Kranke chirurgisch behandelt. Angesichts der Tatsache, dass es zu Schregers Zeiten noch keine Narkose und keine antiseptischen Maßnahmen gab, waren die Erfolge der Eingriffe beeindruckend: Neben vielen Routinemaßnahmen, wie der Versorgung von Wunden und Brüchen, nahm Schreger auch komplizierte Nasen- und Augenoperationen vor, korrigierte schwere Missbildungen, wie den sogenannten Wolfsrachen bei Kindern, und operierte die damals häufigen Blasen-Scheiden-Fisteln sowie äußerliche Tumoren.

Win-win-Situation für Arzt, Patient und Wissenschaft?

In Begleitung seiner Studenten machte Schreger bei bettlägerigen Kranken auch Hausbesuche. Im Gegenzug zur kostenlosen Versorgung erhielt die Klinik auf diese Weise genügend Patienten für die praktische Ausbildung der angehenden Ärzte. Jedem von ihnen wurde ein Patient zugewiesen, dessen Krankengeschichte unter den Ärzten und Studenten ausführlich besprochen wurde. Auch die von Schreger aufgezeichneten und 1817 publizierten Fallberichte verdeutlichen seinen wissenschaftlichen Anspruch. Mit Blick auf die damals relevante Fachliteratur diskutierte er ausführlich die Vor- und Nachteile gängiger OP-Techniken und erläuterte Verfahrensunterschiede.

Auf Wunsch des Patienten

Zwar sind die überlieferten Fallschilderungen alle aus der Perspektive des Chirurgen und Direktors Schreger verfasst, die folgenden, exemplarisch ausgewählten Fälle geben jedoch auch Hinweise auf die Sichtweisen der Patienten und ihre (partielle) Mitbestimmung bei Therapieentscheidungen. Hinter "Fall Nr. 11 Eingealteter Dammrißs mit Scheiden - und Mastdarmfistel" verbirgt sich die Krankengeschichte der Patientin A. B. Lauermännin. Die Frau hatte bei der Geburt ihres Kindes "durch unvernünftiges Handwirken bei der Wendung eines Kindes" einen Dammriss mit Scheiden- und Mastdarmvorfall erlitten. Als sie im Februar 1816 Schregers Patientin wurde, klagte sie über bereits seit drei Jahren anhaltende unerträgliche Schmerzen. Wohl auf ihre Bitte ("So gab man doch dem dringenden Wunsche der Kranken endlich nach") wurde sie schließlich von Schreger operiert. Einen zweiten OP-Versuch, durch eine Wundinfektion notwendig geworden, lehnte die Patientin allerding ab.[1]

Der folgende Fall einer "Lähmung der untern Gliedmaasen" dokumentiert den umgekehrten Fall einer Therapieverweigerung. Der 18-jährige Brunner, von "zärtlicher, sensibler Constitution", litt unter beginnenden Lähmungserscheinungen in den Beinen. Nach anfänglichen Behandlungserfolgen und "im Gefühle der freien Beweglichkeit seiner Extremitäten", lehnte der junge Patient die Fortsetzung der Therapie allerdings ab. Schreger warnte zwar vor zu erwartenden Rückfällen, ihm blieb jedoch "also nichts übrig, als ihn seinem Schicksale zu überlassen". Auch als sich der Zustand des Patienten massiv verschlechterte und Schreger vom Vater des 18-Jährigen um Hilfe gebeten wurde, blieb der junge Mann bei seiner Entscheidung: "hartnäckig that er auch jetzt noch auf alle medicinische Behandlung Verzicht".[2]

[1] Schreger, D.: Annalen des chirurgischen Clinicum auf der Universität zu Erlangen [....]. Erlangen 1817, S. 73-75.

[2] Ebenda , S. 100-103

Quelle: 200 Jahre Universitätsklinikum Erlangen, 1815 – 2015. Hg. Karl-Heinz  Leven/Andreas Plöger. Böhlau: Köln/Weimar/Wien 2016, S. 34ff.